Live Bonn 07.05.2010

Der Traum vom Gestern und der Ewigkeit
Bericht: Günther "Günni" Klößinger, Fotos: Thomas "Fobo" Borchardt

„Grobschnitt“ im Bonner Brückenforum am 07.05.2010 - eine persönliche Betrachtung

                   

„Manchmal ist mir, gestern war's, und manchmal wia a Ewigkeit - und manchmal hob i Angst, es war a Traum!“ sang, wie gewohnt, ein kleiner Chor in alpenländischem Timbre Hubert von Goiserns herzig-schmerzliche Ballade „Weit, weit weg“ gegen Ende des Grobschnitt-Vorprogramms. Was da als Einstimmung von Konserve aus den Boxen erklingt, ist vielen Fans mittlerweile so vertraut wie die ungebrochene Livepräsenz der Hagener Rockzauberer von „Grobschnitt“ selbst - doch zum ersten Mal klangen diese Zeilen für mich wie ein Motto für alles das, was die Fans dieser unglaublichen Gruppe in den vergangenen Jahren erlebten und noch immer erleben: eine Tour de force zwischen Traum und Wirklichkeit, durch Vergangenheit und Gegenwart. Und die Ewigkeit? Ab dafür!

    

Das Brückenforum in Bonn brach nahezu aus allen Nähten, das Publikum drängte sich vor der imposanten Bühne und trotz der beengten Schwüle lag eine relaxte, von Vorfreude getragene Stimmung in der dunstigen Luft. Zeitig startete von Konserve die skurrile Einstimmung, mit der die Gruppe jeweils die angereisten Fans begrüßt. „Business as usual.“ dachte ich mir, aber natürlich mit einem wohlwollenden Grinsen, denn natürlich gehört das Vorprogramm mit zum Ritual. Doch gingen mir diesmal eben die zitierten Zeilen nicht mehr aus dem Sinn und das ganze Konzert über spukten Melodie und Text mir durch den Kopf:

„Manchmal ist mir, gestern war's.“

     

Als nach der persönlichen Begrüßung des Publikums durch Willi Wildschwein und Milla Kapolke, das musikalische Märchen „Rockpommel's Land“ aufgeführt wird, bin ich sofort drin in dieser sympathischen, verträumten Story um den kleinen Ernie, der nach einer missglückten Mathearbeit auf einem Papierflieger in eine Fantasywelt fliegt und dort den bärbeißigen, aber herzlichen Zaubervogel Marabu trifft. Aber nicht alles ist zauberhaft im Märchenland: die bösen Blackshirts haben die Macht übernommen und die Kinder nebst ihrem väterlichen Freund Mr. Glee eingebunkert. Marabu überlässt Ernie eine magische Feder, mit deren Hilfe er die Blackshirts in gruselige Steinwesen verwandeln kann und, wie sich das für ein Märchen gehört, wird alles gut: die früheren Blackshirts tanzen taumelnd mit steinigen Armen, Beinen und Hirnen machtlos durch steinige Wüsten während die Kinder und Mr. Glee befreit werden - und „Rockpommel's Land“ ist frei von Hass.

    

Die Umsetzung dieser poetischen Geschichte ist musikalisch so mitreißend, dass man ihr die über 30 Jahre ihrer Existenz nicht anmerkt - und es ist mir fast wie gestern, als ich mir anno ’84 die originale LP bei meinem ersten „Grobschnitt“-Konzert kaufte. Dieses Werk begleitet mich seitdem ständig durch das Leben - aber wie kommt es im Bonner Brückenforum herüber?

     

Von Anfang an macht die Band deutlich, dass es ihr nicht um eine nostalgische Zeitreise in die Vergangenheit geht - ein eigenes Intro wurde für die aktuelle Show komponiert, das Werk erstrahlt in neuen Arrangements, die völlig auf der Höhe der Zeit sind. Die Jahre, seitdem ich das Stück erstmals gehört hatte, sind bedeutungslos, denn da steht eine ungeheuer frisch und jung klingende Gruppe auf der Bühne und zelebriert ein schwungvolles Gesamtkunstwerk aus Musik, Licht und Showelementen, das auch heute noch seinesgleichen sucht. Die acht Musiker und die hart arbeitende Roadcrew - Techniker und Schauspieler gleichermaßen, reproduzieren da nicht eine verstaubte Oldie-Ikone, hier lebt und atmet jeder Ton, jeder Lichteffekt und jeder Auftritt von Ernie, den Steinwesen oder dem Marabu die Luft des Moments.

    

Der Sound ist dicht, das Zusammenspiel der Band locker und hochkonzentriert zugleich und szenische Umsetzungen von Inhalten der Story werden mit bewundernden „Aaaaaahs“ aus dem Publikum und Sonderapplaus bedacht. Da richten Comic-Autos auf den Straßen von „Severity Town“ ein Verkehrschaos an, und als der unvermeidliche Crash nach den aufbauenden Worten „He, mach schneller Du Ochse!“ eines Verkehrsteilnehmers erklingt, fliegen Reifen auf die Bühne. Die in Stoney Men verwandelten Blackshirts werden von einem trommelnden Ernie zum Tanzen in die Wüste geschickt und natürlich dürfen Partyböller und Luftschlangen zur Befreiung der Kinder nicht fehlen - und kurz vor dem emotionalen Finale gibt sich selbstverständlich auch der Marabu persönlich die Ehre.

                   

Altvertraut und doch immer wieder neu: „Rockpommel's Land“ ist heute wie gestern ein Fest für alle Sinne - Hut ab vor der Band, die diesem Stoff so viel Druck verleiht und ihn den ewigen CD-Gründen entrissen hat, um das Märchen heute wieder live erfahrbar zu machen.

„.und manchmal wia a Ewigkeit.“

     

Natürlich schwingen für Fans wie mich viele Erinnerungen an einem solchen Abend mit und man darf gar nicht daran denken, wie lange es schon her ist, dass man diese Musik zum ersten Mal gehört hat. Doch für das frische Spiel dieser generationenübergreifenden Band gibt es nur eine zutreffende Beschreibung: „zeitlos“. Die Phantasiewelt des Rockmärchens der ersten Konzerthälfte wird im zweiten Teil des Auftritts von ebenso gestern wie heute brisanten, und noch immer aktuellen Themen getragen: „Razzia - Illegal - Mary Green“ düstere Polizeichargen, Blaulichter und Sirenen zeigen, dass es auch hier und jetzt noch Blackshirts gibt, nicht nur in einem fernen Traumland und die Message könnte lauten: „Severity Town ist überall!“ Auch im Ton ändert sich die Musik: vor der Pause vermittelten feinsinnige Melodien eine zart flirrende Märchenathmosphäre - nach Träumen und Schwelgen ist nun erst mal „Abrocken bis zum Abwinken“ angesagt. Dieses treibende Medley hinterlässt Band und Publikum gleichermaßen atemlos - daher erst mal abkühlen mit dem unsterblichen „Silent Movie“, bevor die eindringliche Öko-Ballade „Könige der Welt“ auffordert, angesichts einer kalten, Umwelt verachtenden Welt das Unmögliche zu wagen: „Der Mond ist tot, komm heb ihn auf! Wir hängen ihn zurück!“ Die starken Emotionen des Liedes sind in jedem Ton spürbar und die Soli der Gitarristen fließen aus deren Fingern über die gewaltige Schallkulisse direkt in die Herzen der Zuhörer.

     

Und dann ist es auch schon Zeit für den ewigen Klassiker der Groben: „Solar Music“ - der Text dieses brachialen Monumentalepos beschreibt zunächst auch eine düstere Zukunft: Die Welt explodiert und alles versinkt im Dunkel. Doch auch hier führt der Kampf zwischen gut und Böse letztlich wieder ins Licht.

    

Fast 50 Minuten lang ist dieses aufregende Werk, ohne auch nur eine Minute Langeweile zu produzieren. Solistisch ziehen alle Beteiligten sämtliche Register und emotional wird ein buntes Feuerwerk abgebrannt. Die Gefühlswelten der Zuhörer entsprechen den Soundgemälden und der atemberaubenden Bühnenshow aus Pyro, Licht und Kostümen.

     

Da werden so viele positive Vibrations (wer im Bereich einer Bassbox stand, weiß, was ich meine.) erzeugt, dass auch hier, wie schon in „Rockpommel's Land“, alles gut werden muss: das Licht wird wieder gefunden und der Aufbruch in eine bessere Welt wird mit einem Klanggewitter aus wilden Gitarrenläufen, donnernden Breaks und knallig-warmen Bässen abgefeiert.

    

Dieses Stück deutscher Rockgeschichte hat wahrhaftig schon eine ewige Geschichte auf dem Buckel - entstammt die Grundidee doch einer Improvisation der Schülerband „The Crew“ aus dem Jahre 1968 - und just aus dieser Combo sollte schließlich „Grobschnitt entstehen. Und dieses lange Stück wurde zum unglaublichsten Hit der Rockgeschichte: nicht nur, dass Fans immer wieder lautstark einen Titel fordern, der zwischen 30 und 59 Minuten lang ist - nein, das Magnum Opus veränderte sich durch all diese Jahre immer wieder und auch heute noch wird es nie zweimal identisch gespielt. Im Jubiläumsjahr - die „Groben“ feiern ja das 40jährige Bühnenjubiläum, ist auch ein Zeitfenster integriert, in dem auch frühe Klänge und Sounds aus der solarigen Urzeit reaktiviert werden.

     

Und auch als nach dem gewaltigen Schlussakkord der tosende Applaus das Brückenforum zur brodelnden Hexenküche mutieren lässt, ist noch nicht Schluss mit „Solar Music“:

    

Denn im Zugabenteil erklingt zunächst ein Auszug aus „Powerplay“, wie „Solar Music“ Anfang der 80er Jahre auch hieß - und dann betrat schließlich wieder jenes unheimliche Wesen mit Totenschädel und Wikingerhelm die Bühne, um zu den elegischen Klängen der Fassung aus den 70ern ein brennendes Kreuz auf der Bühne niederzulegen - das Ritual ist beendet - das Publikum aus dem Häuschen. Die „Zugabe, Zugabe“-Rufe wollen kaum enden. Es ist, als hätte es diese Musik schon immer gegeben und als wollte die Magie dieser Klänge nie enden - Musik für die Ewigkeit.

„.und manchmal hob i Angst, es war a Traum!“

    

    

Hoppla - ging da nicht das Pathos mit dem Autoren durch? Hätte es sich stattdessen für einen ordentlichen Rezensenten nicht gehört, den Finger auf die Wunden menschlicher und musikalischer Fehlbarkeiten zu legen? Ein verpatzter Ton im Gitarrenpart des „Rockpommel“-Finales - eine Keyboard-Panne bei „Mary Green“? Mir persönlich zeigen solche kleinen Ausrutscher lediglich, das da auch nur Menschen auf der Bühne stehen - Leute, die angetreten sind, einer Menge Musikfans drei Stunden und länger einen schönen Abend zu machen. Im Eifer des Gefechts kann schon mal was daneben gehen - aber Rezensionen solcher Art überlasse ich Marcel Arm-Armani o. ä. - auch an diesem Abend haben Musik und Show die Zuhörer verzaubert, zum Lachen und Weinen gebracht, Gänsehäute en Gros generiert und eine riesige Portion ungebremsten Glücks transportiert - was will man mehr?

    

Klar kann man Vergleiche früher-heute anstellen oder die Kompositionen analysieren - aber, Hand aufs Herz: gehen wir deswegen auf Konzerte? Ich nicht!

     

Ich spüre nur jedes Mal aufs Neue, wenn diese Musik erklingt, dass sie für mich immer noch so etwas Besonderes ist wie damals in den 80er Jahren und ein wenig beklemmende Erinnerung macht sich breit an die Zeit, als es diese Band für lange Jahre nicht gab. Mit jedem neuen Live-Erlebnis wird mir auch bewusst, was mir zwischen 1989 und 2007 so gefehlt hatte. Und es gibt Tage, da kann ich es kaum fassen, dass wir Fans dies alles tatsächlich erleben - was wäre, wenn das alles nur ein Traum wäre? Die „Next Party“ nur ein Film im Kopf, die „Reise nach Rockpommel's Land“ und der „Sonnentanz“ nur wilde Wunschträume? Wie bei allen schönen Gespinsten ist da die Angst vor einem umbarmherzig schrillenden Wecker, vor dem Erwachen in einer unfreundlichen Welt.

     

Nun, die beseelte gesangliche Intonation von Willi Wildschwein, Toni Moff Mollo und Milla Kapolke (die auch für Licht, Akustikgitarre und Bass stehen), die ausgereiften Gitarrenparts von Nuki Danielak und Manu Kapolke, die treibenden Trommelkaskaden von Admiral Möller und Demian Hache sowie Deva Tattvas organische Keyboardklänge fühlten sich, trotz aller Schönheit, doch sehr real an - und, sollte das alles, was wir seit nunmehr drei Jahren wieder live auf den Bühnen des Landes erleben dürfen, tatsächlich ein Traum sein, habe ich nur einen Wunsch: „Bloß nicht jetzt aufwachen!“

    

Günther Klößinger, 09.05.2010