Es gibt Konzerte, die Musiker und
Zuschauer emotional sehr bewegen. Der Auftritt von Grobschnitt in der
Stadthalle von Neuss am 02.04.2011 war solch ein Auftritt, ein Abend an
dem die Emotionen zwischen Band und Publikum hin- und herpendelten. Das
lag aber vor allem auch an den Vorzeichen, denn Grobschnitt hatten
diesen Konzerttermin als letzten ausgesucht, um danach für eine längere
Zeit eine Pause einzulegen. Das war auch der Grund, warum die
Eröffnungsansprache von Sänger Willi Wildschwein besonders lang ausfiel
und nicht durch die Juxeinlage von „Hausmeister Toni“ unterbrochen
wurde.
Der hüpfende Milla
Willi erklärte dem Publikum, dass man
die vier Konzerte (es sollten ja fünf werden, aber Berlin musste
ausfallen), die in 2011 gespielt wurden, als Bonus hinter die
Konzertreihe zum Bandjubiläum, das in 2010 mit zehn Konzerten gefeiert
wurde, angehängt hatte. Jetzt habe man sich zunächst eine längere Pause
verdient. Ein Grund für die Terminierung des letzten Konzertes Anfang
April ist auch die einmonatige Reise, die Gitarrist Manu Kapolke Anfang
April unternimmt.
links: winke, winke aus dem Cabrio
links: Willi's Sprung
Dass die Band nicht aufhören will,
solange alle gesund bleiben, machte Willi in seiner Eröffnungsrede
deutlich. Mit einem Augenzwinkern ging Willi’s Frage dabei an Milla
Kapolke „Milla, hast du aua?“. Dieser Ausspruch sollte an diesem Abend
noch öfter als geflügeltes Wort dienen. Willi erzählte dann dem
begeisterten Publikum, dass das Theater Hagen in der Saison 2011/2012
sein 100jähriges Bestehen feiert und die Verantwortlichen nicht etwa
Johannes Heesters, sondern Grobschnitt gefragt haben, ob sie zu diesem
Fest im Theater auftreten würden. Daraus entstand dann die Idee „Rockpommel’s
Land“ mit Philharmonieorchester an fünf Abenden aufzuführen. Zwar sind
die Verträge noch nicht unterschrieben, aber die Zeichen stehen gut.
Willi erklärte weiter, dass außerdem der Backkatalog von Grobschnitt so
umfangreich sei, dass man ja noch so einiges auf die Bühne bringen
könnte. Mit überwältigendem Applaus wurde dieser Hoffnungsschimmer von
den vielen Fans quittiert.
Toni führt winkend die Parade an
... und viele Ernie's singen und winken
rotgemützt zurück
Dann ging es ins „Rockpommel’s Land“,
das an diesem Abend von besonderer Qualität war - wie auch die
Lightshow, die noch mehr strahlte und farbenprächtiger war, als sonst. Schon zu Beginn spürte
man diese überwältigende Spannung und Freude auf das Konzert. So legten
Toni Moff Mollo und Rolf „ATS“ Möller mit ihren Regenschirmen bei dem
Betreten der Bühne eine kleine Fechteinlage ein. Musikalisch legten sich
die Jungs noch mal richtig ins Zeug und zelebrierten dieses Rockmärchen
in einer sehr emotionalen und stimmigen Art, die wohl die beste der
Neuzeit war. Jeder der Musiker gab noch mal alles und Schlagzeuger Rolf
„ATS“ Möller machte so manches Mätzchen hinter seiner Schießbude oder an
den Perkussion, das es eine Freude war zuzuschauen. Trotz der
emotionalen Stimmung hatte die Band einen riesigen Spaß am Auftritt.
Trockeneis marsch !!!
Band und Publikum spielten sich die
Bälle förmlich hin und her. Da wurde an den entsprechenden Stellen
rhythmisch geklatscht und lauthals mitgesungen. Die Fans aus dem Forum
hatten sich aber für die Band noch etwas ganz Besonderes ausgedacht. Vor
dem Konzert wurden ca. 200 rote Strickmützen unter den 1.500 Zuschauern
verteilt (das Konzert war bereits seit einiger Zeit ausverkauft,
aufgrund der Nachfrage hätten noch mehr Karten verkauft werden können).
In dem Moment, in dem Demian Hache als Ernie die Bühne mit seiner
Trommel betritt (er hat dabei ein kariertes Hemd und eine rote Mütze
auf), leuchtete der Band ein Meer aus 200 roten Punkten entgegen, denn
die Besucher, die eine rote Mütze ergattern konnten, zogen sich diese
nun auf. Das war ein imposantes Bild, vor allem in dem Moment, wo die
Konfettikanone ihren Inhalt auf das Publikum schoss. Aber auch die Band
hatte sich wieder etwas ausgedacht und so hatte sich Toni mit einer
Strickmütze auf dem Kopf und in Lederhosen gekleidet vor Demian auf die
Bühne gemogelt. Er führte den Tross an und winkte dabei ins Publikum.
links: Wer hat denn da 'ne Gänsehaut?
Vorsicht Razzia !!!
Am Rande sei bemerkt, dass die Kanone
mit der doppelten Menge Konfetti ausgestattet war, da das Material, das
in Osterholz-Scharmbeck aufgrund eines Defektes nicht gezündet werden
konnte, gleich mit rausgepustet wurde. Die Band war sichtlich von dem
Bild der vielen roten Mützen (Ernie ist überall) beeindruckt. Nachdem
dieser erste Teil beendet war, hielten Bandmitglieder und viele Besucher
mit Tränen in den Augen einen Moment inne, um Luft zu holen und tosenden
Applaus zu spendieren bzw. zu genießen. Dieser war an diesem Abend
besonders lautstark. Es gibt im Leben manchmal Momente, die einzigartig
sind, dieser Abend war solch einer, das war schon jetzt zu spüren.
rechts: man beachte Milla im Hintergrund,
der den Seifenblasen nachschaut
Nach der Pause, in der die
Veranstalter leider gar nicht auf die Massen an durstigen Gästen
vorbereitet schienen (es dauerte einfach zu lange) ging die Party dann
richtig los. „Razzia“ und „Illegal“ eröffneten den zweiten Teil in
gewohnter Form, gefolgt von dem Klassiker „Vater Schmidt’s Wandertag“.
Und in diesem Jahr gehört auch „Wir wollen leben“ zum festen Programm,
das sich nahtlos anschloss und bei dem die Halle lautstark mitsang.
Leider hat das Lied in diesen Tagen so an Aktualität gewonnen, ebenso
wie „Raintime“, das nach dem Instrumental „Silent Movie“ erstmals wieder
ins Programm aufgenommen wurde. Wie Milla erklärte, habe die Band dieses
Stück aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Japan ins Auge gefasst.
Als es damals komponiert wurde, hatten die Mitglieder von Grobschnitt
eigentlich gedacht, dass ca. 30 Jahre später niemand mehr das Thema
atomare Gefahr diskutieren müsse, da es dann andere Energiegewinnungen
gebe. Leider hat sich das nicht bewahrheitet und wir erleben derzeit die
größte vorstellbare Katastrophe. Bei „Silent Movie“ wurden von beiden
Seiten Seifenblasen in „Mundarbeit“ auf die Bühne geblasen, was aber
wohl nicht alle Zuschauer mitbekamen, da die zerbrechlichen Kugeln es
nicht weit auf die Bühne schafften. Trotzdem eine schöne Idee.
Das nicht enden wollende Solo von Nuki
Es folgte „Könige der Welt“
(Anmerkung: So mancher noch an der Macht befindliche Herrscher, sollte
im Namen der Menschlichkeit auch besser abdanken), das in dieser Form
fest im Liveprogramm verankert ist. Bulli (Willi’s Sohn und
Verantwortlicher für den Sound) hatte schon zuvor Milla’s Bass-Moog
besonders viel Druck verliehen, was er auch bei diesem Stück machte. Da
vibrierte der ganze Körper von den Zehen bis in die Haarspitzen. Und
Milla hatte sichtlich Spaß daran, diesen druckvollen Sound – der von
vielen so geliebt wird – durch die Halle zu schicken.
Dann kündigte Willi „Solar Music“ an,
dass die Band an diesem Abend zum vorerst letzten Mal spielen würde.
Nicht nur bei mir und vielen Besuchern sorgte das für ein
melancholisches und komisches Gefühl. Es war auch Willi Wildschwein
anzumerken, dass ihm diese Aussage nicht leicht fiel. Dieses Gefühl, das
sich auch in mir breit machte und zunächst eine melancholische Stimmung
hinterließ, wurde aber durch den Rhythmus dieses faszinierenden Stückes
schnell fortgeweht. Die acht Musiker rockten, was das Zeug hielt.
Besonders hervorzuheben, wenn das überhaupt möglich ist, waren Toni Moff
Mollo, dessen Stimme an diesem Abend besonders klar und transparent war
sowie Nuki’s Solo (David Gilmour lässt grüßen). Ich hatte das Gefühl,
das Nuki an diesem Abend gar nicht aufhören wollte.
Nachdem Milla’s fetter Taurus ja schon
mehrfach durch die Halle rollte, schnitt sich Rolf’s Bass-Drum bei
„Solar Music“ förmlich mitten durch die Körper des Publikums. Wow, was
für ein Erlebnis, Musik so zu fühlen !! Und Manu machte während des
Stückes auch mal wieder einen Ausflug auf die Boxen der PA, um dem
Publikum noch näher zu sein. Wie schnell eine Stunde „Solar Music“
verfliegen kann, musste dann jeder Besucher merken, als der letzte Ton
verklang und die letzten Rauchbomben explodierten. Der tosende Applaus –
produziert von 3.000 Händen – ließ die Halle beben.
Es kamen die üblichen Zugaben (Auszug
aus „Powerplay“ und der 70’er Version von „Solar Music“) zum Schluss.
Mit einem großen Banner auf dem „The Show must go on - Grobschnitt for
ever“ stand, ging ein Gruß an die Band. Nachdem die Crew vorgestellt
worden war, gingen diese mit weißen Tüchern an der Hand, winkend von der
Bühne, ein netter Gruß an die Fans. Aber die Fans hatten sich noch einen
weiteren Dankesgruß an die Band und ihre Helfer (die Roadies und
helfenden Hände gehören bei Grobschnitt mit zur Band) ausgedacht. Bei
dem abschließenden Auszug aus „Solar Music“, bei dem der Wikinger mit
seiner brennenden Fackel auf die Bühne kommt und sich dann auf die Knie
fallen lässt, ging ein Großteil des Publikums ebenfalls in die Knie.
Dies war nicht nur ein Gruß an die Band sondern auch an Ralf Dreger (Mr.
Merch), der den Wikinger bei den Shows der Next Party-Tour so oft
verkörperte.
Manu's Ausflug auf die PA-Boxen
Nachdem die Band sich vom Publikum
verabschiedet hatte, folgte dann ein besonders bewegender Moment. Aus
dem Forum hatte Harald Stimpl (bekannt als Rockmagix) einen Text auf
Reinhard Mey’s Lied „Gute Nacht Freunde“ getextet. Dieser Text wurde in
gut 500 Kopien verteilt und so schallten die Textzeilen am Ende des
Konzertes aus zig hundert Kehlen der Band entgegen. Nicht nur wir Fans
waren ergriffen, auch die Mitglieder von Grobschnitt hatten Tränen in
den Augen. Sie wissen nicht nur was sie an den Fans haben, sie haben
vielmehr eine enge Beziehung zu den Besuchern der Konzerte.
Dieses Grobschnitt-Konzert war ein
gelungener Abschluss einer mehr als 30 Termine umfassenden Konzertreihe.
Nach dieser Zeit (2007 bis 2011) hat sich die achtköpfige Band wahrlich
eine Pause verdient (sie sind ja alle berufstätig, sofern man Willi’s
Rentnerdasein als Beruf bezeichnet). Es war – wie immer – ein Fest für
Band und Publikum. Diese außergewöhnlichen Konzerte zeigen immer wieder,
dass hier Freunde für Freunde Musik machen. Und das zeigte sich auch
noch bei der Aftershowparty – bei dem jeder Besucher willkommen ist –
bis in die frühen Morgenstunden.
Man beachte die quälenden + traurigen
Gesichert der 7 Zwerge und ihres Steuermanns
The Show must go on !!!!!!
Mein Dank geht an dieser Stelle an
alle Musiker, Helfer und Familienangehörigen rund um diese Gruppe, die
uns vier unvergessliche Jahre an Musik und Freundschaft geschenkt haben.
Es gibt – obwohl ich in den letzten Jahren sehr viel im musikalischen
Bereiche erlebt habe – nichts Vergleichbares.
Stephan Schelle, 04.04.2011
PS: Den Text zum Lied, dass die Halle
der Band gesungen hat, findet ihr
hier
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