Interview mit Milla Kapolke
 

Am 17.07.1999 hatte ich die Gelegenheit, Milla Kapolke in seinem trauten Heim zu besuchen und mit ihm ein ausführliches Interview zu führen. Das Ergebnis könnt ihr hier nachlesen.

 

Stephan: Ich hab gelesen, daß Du mit 14 Jahren begonnen hast Leadgitarre zu spielen. Du bist dann 1974 aufgrund eines YES-Konzertes auf den Baß umgestiegen. Welchen Einfluß hatte der damalige YES-Bassist Chris Squire auf Deine Musik?

Milla: Vorher konnte ich schon ein bißchen Baß spielen. Mich hat die Funktion, die der Baß bei YES hatte völlig umgehauen, weil er musikalisch eine ganz andere Rolle spielte als in jeder anderen Band. Er war da nicht nur Begleitinstrument, sondern YES haben ja polyphone Musik gemacht, das heißt, daß jedes Instrument wie ein Soloinstrument für sich spielt und das zusammengesetzt gibt dann ein Stück. Der Baß hat also wirklich ganz eigene Strukturen gespielt, war kein Begleitinstrument, denn im Grunde genommen ist er ja oft nur ein Begleitinstrument. Das hat mich völlig fasziniert. Und ich war, und das bin ich eigentlich die ganzen Jahre gewesen, ein ausgesprochen großer YES-Fan. Als ich YES zum erstenmal 1974 live gesehen habe, das war für mich so eine richtige Offenbarung. Und da hab ich gesagt, das ist genau das, was du machen willst, weil mich auch an der Gitarre schon immer das Rhythmische interessiert hat. Ich war immer sehr auf Rhythmus fixiert und das war genau das Richtige, diese Art Baß zu spielen. Dann habe ich mir auch den gleichen Baß geholt, den der Chris Squire gespielt hat, einen Rickenbacker Baß. Den spiele ich heute noch, und den habe ich fast durchgehend, mit ein paar Unterbrechungen, bei Grobschnitt gespielt. Bei Musikmessen hab ich mich nie von anderen Firmen, die Interesse an Grobschnitt hatten, davon abbringen lassen, den Rickenbacker zu spielen, weil er auch ne ganz bestimmte Art von Sound hatte. Ich versuchte dann auch bei Grobschnitt dieses etwas polyphonere Spiel vom Baß so’n bißchen mit einzubringen.

Stephan: Wann hast Du dann angefangen in einer Band zu spielen? Auch schon kurze Zeit danach oder wie kam das zustande?

Milla: Ich hab glaub ich mit 13 – 14 Jahren angefangen so ....

Stephan: Dann aber noch als Leadgitarrist?

Milla: Ja, ja. Das ist in den 60‘er Jahren gewesen, 1965, 1966, wo es die Beatles noch gab. Da spielte ich dann Gitarre in meiner ersten Band. Das waren die Schülerbands, ähnlich wie die anderen Grobschnitt-Leute das auch gemacht haben. Ich komme ja eigentlich aus einem Stadtteil von Hagen, aus Hohenlimburg - heutiger Stadtteil von Hagen, damals noch eine eigene Stadt. Die ist immerhin so 10 Kilometer von Hagen entfernt. Insofern habe ich zu den damaligen Grobschnitt-Leuten – wir haben ungefähr zur gleichen Zeit angefangen - relativ wenig Kontakt gehabt. Wir haben uns mal auf so kleinen Festivals gesehen, auf so Schülerfestivals, als es damals die CREW gab bzw. CHARING CROSS. Mit CHARING CROSS haben wir zusammen auf einem Festival gespielt. Wir waren eine Hohenlimburger Band und das war ne Hagener Band und heute gehört Hohenlimburg zu Hagen, das ist dann also dort eingemeindet worden. Ich hab also erst in ner Schulband Gitarre gespielt. Wir waren damals in Hohenlimburg die angesagte Kapelle, haben auch ziemlich viel gemacht. Ich hab dann nach dem Abitur allerdings, wie das so ist, angefangen zu studieren, und dann hat sich die Band aufgelöst. Ich fing dann während meines Studiums wieder an. Ich habe Pädagogik studiert und da gab’s dann so ne Band, daraus sind die ROARING SIXTIES entstanden. Das war zu der Zeit hauptsächlich ne Coverband, das war so Anfang der 70‘er Jahre. Wir haben dann im Laufe der Zeit auch eigene Musik gemacht. Und daraus ist die Band GREEN entstanden, wo ich mitgespielt hab. Die Band ist in Hagen eigentlich ziemlich bekannt gewesen. So Mitte der 70‘er bis Anfang der 80‘er Jahre, also so Ende der 70‘er Jahre sagen wir mal, 1980 war ich ja schon bei Grobschnitt, war GREEN eigentlich die angesagte Hagener Band gewesen - außer Grobschnitt. Aber Grobschnitt galt damals eigentlich gar nicht mehr als Hagener Lokalband, sondern Grobschnitt war ne ganz andere Kategorie. Wir spielten damals mit NENA und EXTRABREIT zusammen und waren auch bei dem gleichen Musikverlag. Das war aber zu der Zeit so, daß NENA mit ihrer Band bei uns noch eher als Vorband gespielt hat.

Stephan: War das damals mit den STRIPES?

Milla: Genau, mit den STRIPES. Wir waren mal mit denen zusammen auf Tournee, da waren wir mehr so der Hauptact. Wenn es in Hagen Veranstaltungen gab, dann waren wir mit unserer Band die Lokalmatadoren, die am meisten gezogen haben. Wir standen also so durchaus vor EXTRABREIT, die hatten allerdings auch gerade erst angefangen. Wir waren so die angesagte Band und das war auch wohl mit der Grund, warum ich dann ziemlich schnell zu GROBSCHNITT gehen konnte, als dann der Platz des Bassisten frei wurde.

Stephan: Ich hab unter anderem auch gelesen, daß der neue Bassist, also Du, bisher in Amateurbands gespielt hat. Wie stehst Du den zu dieser Aussage? Wenn man das jetzt so hört, dann war GREEN ja sicherlich keine Amateurband.

Milla: Man muß sagen, daß GREEN ungefähr ein bis zwei Jahre lang versuchte, professionell zu arbeiten. Ich hab mich - nachdem ich mein Studium, also mein Lehrerexamen abgeschlossen hatte - entschlossen, Profimusik mit GREEN zu machen. Wir waren damals in der Phase, ähnlich wie die anderen Gruppen EXTRABREIT, STRIPES in der Zeit, Platten zu machen. Wir waren im Studio, wir haben versucht, einen Plattenvertrag zu kriegen. Und genau in der Phase, in der es vielleicht losgegangen wäre .... Wir waren mit GREEN ein bißchen anders als zum Beispiel EXTRABREIT und NENA, die dann ja voll in diese Neue Deutsche Welle reingingen. Wir sangen beispielsweise in englisch, wir waren also nicht in dieser Schiene drin. Vielleicht wäre es insofern nichts geworden, das weiß ich nicht. Als GREEN so anfing loszugehen, da bin ich dann zu GROBSCHNITT gegangen. Im Vergleich zu GROBSCHNITT war das sicherlich eine Amateurband. Ich hab da ganz recht und schlecht von leben können zu der Zeit.

Stephan: Was wurde denn nach Deinem Ausstieg aus GREEN?

Milla: Die Band GREEN hat sich eigentlich offiziell aufgelöst, aber wir haben dann immer mal wieder Abschiedskonzerte gegeben (lacht). Wir waren also unheimlich angesagt in Hagen. Dadurch, daß ich schon bei GROBSCHNITT war, waren wir noch angesagter, weil dann ein GROBSCHNITT-Mann plötzlich mitspielte. Wir hatte also unheimlich tolle Konzerte und haben uns dann hinterher entschlossen, einfach aus Spaß weiterzuspielen. Ich hab die ganze Zeit, wo ich bei GROBSCHNITT gespielt habe, immer nebenbei auch mit GREEN noch Konzerte gemacht. So zum Austoben. GREEN war auch eher eine etwas härtere Band. Ich muß schon sagen, nicht so eine symphonische Band wie GROBSCHNITT, sondern wir haben mit GREEN so eine Art Partymusik gemacht. Das war dann manchmal ein guter Ausgleich, hat ne Menge Spaß gemacht.

Stephan: Du bist dann 1980 für Wolfgang Jäger (Hunter) in die Band gekommen. Eigentlich hat sich meine Frage schon erübrigt. Ich wollte nämlich fragen, ob Du GROBSCHNITT vorher schon gekannt hast.

Milla: Ich hab natürlich GROBSCHNITT gekannt, wie jeder in Hagen. Ich war jetzt aber nicht jemand, der dauernd zu GROBSCHNITT-Konzerten gegangen ist. Ich hab die ab und zu mal gesehen, fand diese Art von Musik auch unheimlich gut. Ich muß aber sagen, daß ich nie ein riesengroßer Fan von den ganzen deutschen Gruppen gewesen bin, sondern - also mehr wie ich vorhin schon sagte – meine Gruppen in dieser Zeit waren eben mehr die englischen Pendants wie YES, GENESIS, vielleicht noch PINK FLOYD auf eine gewisse Weise, die diese Art von Musik gemacht haben. Ich bin jetzt nicht unbedingt zu den deutschen Gruppen gegangen, fand GROBSCHNITT aber eigentlich gut und hab die Show auch gesehen, aber nicht so oft. Ich kannte die schon und hatte auch ein paar Platten von denen. Zum Beispiel "Rockpommels Land" fand ich unheimlich gut. Das war so die Platte von GROBSCHNITT, die ich zu der Zeit am besten fand.

Stephan: Ja, sie hatte auch starke YES-Einflüsse.

Milla: Ja genau, daran lag das auch (lacht). Das ist die Platte, die dieser Musikrichtung noch am nächsten kommt, und das war auch so die Musik, die ich mit am besten fand, obwohl ich die anderen Sachen auch gut fand. Es haben ja viele gesagt, daß, als ich gekommen bin, alles so’n bißchen härter geworden ist. Das ist meiner Meinung nach eine Fehlinterpretation gewesen. Ich war eigentlich eher immer derjenige, der mehr diese YES-Richtung machen wollte. Nicht diese straighte, harte Musik, sondern diese verspielte YES-Richtung, die auch immer sehr stark von Mist mit vertreten worden ist. Daß das damals auch ein bißchen härter, "direkter" oder "straighter" wurde, das lag also gar nicht so viel an mir. Das lag an der allgemeinen Stimmung der Zeit und auch an der Entwicklung, die die anderen Bandmitglieder mitgemacht hatten.

Stephan: Wie hast Du denn überhaupt erfahren, daß GROBSCHNITT einen neuen Bassisten suchte? Erfährt man so was aus der Zeitung oder Zeitschriften oder spricht sich das unter Musikerkollegen rum?

Milla: Ich hab das am Anfang gar nicht richtig mitgekriegt. GROBSCHNITT hatte damals - das haben wir hinterher auch noch mal so gemacht, als wir einen Keyboarder gesucht haben - einfach im FACHBLATT annonciert. Das war damals die angesagte Musikerzeitschrift. Aber diese Annonce habe ich nie gesehen. Daraufhin haben sich ein paar gemeldet, es haben also vor mir, bevor ich überhaupt davon erfahren habe, ein paar Leute schon vorgespielt. Es gab also ein paar Bassisten, die dann da waren. Der Keyboarder, der damals bei den ROARING SIXTIES mitgespielt hatte, war ein guter Freund von Mist. Und der hatte das über Mist erfahren und hatte mir das dann erzählt. Und dann habe ich einfach angefragt oder ich habe angerufen und gesagt: "Hör mal, wie wär das. Vielleicht wär‘s ne Möglichkeit." Und dann hab ich halt vorgespielt. Bin da hingegangen und mußte so eine richtige kleine Prüfung machen. Ich muß dazu sagen, wir kannten uns nicht. Mist kannte ich, sonst kannte ich keinen von GROBSCHNITT persönlich. Ja, dann bin ich da hingegangen und habe vorgespielt und bin dann eigentlich sofort genommen worden. Wobei ich glaube, daß es viele Faktoren gab, warum ich genommen wurde. Es muß natürlich die Chemie stimmen, man muß einen guten Eindruck voneinander haben, nehme ich mal an, und man muß das Gefühl haben, daß das spielerisch hinhaut. Ich glaub auch, ein kleiner Vorteil von mir war, daß es organisatorisch relativ einfach war, in die Band reinzukommen, denn wenn z. B. ein Bassist aus Berlin vorspielt, gut, der muß auch erst einmal nach Hagen ziehen, dann hast du auch viel äußerliches Theater, während mein Mitspielen sehr einfach war. Ich wohnte da, ich hatte Zeit. Ich mußte keinen Beruf aufgeben oder so was. Ich wohnte in der Nähe, es paßte also alles. Es war alles sehr einfach sowohl für die Band als auch für mich.

Stephan: Warst Du denn zu dem damaligen Zeitpunkt noch Lehrer?

Milla: Ich hab meine Ausbildung 1978 beendet, da war ich mit allem fertig. Dann kamen die zwei Jahre, wo ich mit GREEN professionell Musik gemacht hab. Ich hab unheimlich viel gespielt und dadurch konnte ich leben. Was dann schon eine Profiband war, die aber kaum einer kannte, insofern also vielleicht doch eine Amateurband. Ich war zu der Zeit beruflich völlig unabhängig. Zu der Zeit wollte ich gar kein Lehrer werden.

Stephan: Den Job hast Du dann nach Deinem Studium gar nicht ausgeführt?

Milla: Nein, die ganze Zeit nicht. Ich hätte damals eine Stelle kriegen können. Ich wollte zu der Zeit kein Lehrer, sondern Musiker sein. Ich dachte es wäre besser, bevor ich mich auf dieses Abenteuer einlasse, ein abgeschlossenes Studium zu haben. Was sich auch in sofern bewährt hat, das ich heute eben als Lehrer wieder arbeiten kann. Ich wollte damals eigentlich immer nur Musiker sein.

Stephan: Du bist dann zum ersten mal auf der LP "Illegal" zu hören. Die auf der Platte vorhandene Version von "Space Rider" weicht ja von der Urversion, die kürzlich auf der CD "Grobschnitt Story 2" herausgekommen ist, ab. In der Urversion wird im Mittelteil gesungen " ..... ich heiß Kapolke". Wollte man Dich mit dieser Aktion den Fans vorstellen oder was war der ursprüngliche Gedanke?

Milla: Mehr oder weniger ja. Es war eigentlich ne typische GROBSCHNITT-Sache, die immer gewisse Gags reinbringen, das heißt also genauso wie auf "Jumbo" Lupo mitten in so einem Solo einfach mal Scheiße sagt, oder so was. Das sind so typische Sachen, daß wenn eine bestimmte Stimmung erzeugt wird, sie immer mal plötzlich so etwas reingebracht haben. Und ich war zu dieser Zeit natürlich neu in der Band und wir hatten dieses Stück gerade so entstehen lassen, und da haben wir diesen sehr spacigen Teil gemacht. Ich weiß gar nicht mehr, wessen Idee das war. Irgendwer meinte, man müßte da noch irgend so was ganz anderes reinbringen und dann haben wir das halt gemacht. Das war also mit Sicherheit nicht meine Idee, da wäre ich nie auf drauf gekommen (lacht). Damals hätte ich mich gar nicht zu sagen getraut: "Ich singe jetzt mal meinen Namen da rein." Das fand irgendwer unheimlich gut und dann habe ich das halt gemacht. Das war mir eher peinlich, das weiß ich noch, als ich das singen sollte.

Stephan: Und die Version ist damals nicht herausgekommen, weil der Platz auf der LP nicht ausgereicht hat?

Milla: Ja, man hatte damals, anders als bei den CD’s, immer nur einen gewissen Platz von ungefähr 40 Minuten auf den LP’s gehabt. Und je kürzer die LP‘s waren, um so bombastischer konnte man den Sound machen. Eroc hat immer dazu tendiert, daß er noch ein paar Rillen mehr hatte, um ein wenig mehr Bässe reinzubringen, deshalb ist meist was rausgeschnitten worden. Das war mit Sicherheit ein Aspekt. Aber wenn ich mich richtig erinnere, war auch ein Aspekt, daß wir damals schon ein bißchen so in diese straightere Richtung gehen wollten und dieser Teil, der rausgeschnitten worden ist, ist ja so eine Rhythmusunterbrechung, also ein ruhiger Teil und dann geht’s ja wieder los. Und man hat gedacht, daß das Stück "Space Rider" einfach durchgängiger sein sollte. Das ist erst beim Abmischen passiert, zu der Zeit war ich gar nicht da. Das haben also damals, wenn ich mich richtig erinnere, Eroc, Wildschwein und der Geheimrat Günstig zusammen alleine abgemischt. Wir haben dann nur das Ergebnis gehört. Ich kann mich erinnern, daß ich sehr traurig war als das rausgeschnitten worden war, weil ich den Teil unheimlich gut fand. Das wußte Eroc auch, ich kann mich noch dran erinnern, wie er mir das damals erzählt hat, da war ihm schon klar, daß mir das nicht so gut gefallen würde.

Stephan: Du hast vorhin auch schon ein bißchen über die Änderung des Musikstils, der unter anderem auch schon bei Deinem Eintritt in die Band erfolgte, gesprochen. Hast Du selbst auch neue Ideen in die Musik mit eingebracht, die auf den Stil von GROBSCHNITT Einfluß hatten? Ich meine vor allem auch direkt die erste Produktion mit Dir "Illegal".

Milla: Ja doch, schon ne ganze Menge Ideen, fand ich jedenfalls. Ich bin vom ersten Tag an als volles Mitglied angesehen worden, das fand ich schon toll. Ich hab dann am Anfang noch recht vorsichtig und - meiner Meinung nach - hinterher dann allerdings auch recht viel zum Arrangement beigetragen. Was durch mich nicht gekommen ist, ist das harte Stilelement. Ich hab einerseits versucht meinen Baß eben so zu spielen, wie ich mir das vorgestellt hab. Also was ich vorhin schon sagte, dieses etwas mehr polyphone, nicht nur den Baß als Begleitung, sondern meinen Basstil mit einzubringen. Ich hab viele Ideen auch für Arrangements gehabt. Mit Mist war ich sehr auf einer Wellelänge, wir haben uns eigentlich sehr sehr gut verstanden. Es war auch unheimlich toll mit Eroc zusammenzuspielen, der eine ganz eigene Art hat, Schlagzeug zu spielen, die mir aber wiederum sehr gut entsprochen hat. Da kann man sehen, daß wir am Anfang unheimlich viel Spaß hatten zusammenzuspielen. Es ist wahnsinnig viel Energie entstanden. Hunter hatte am Schluß mit den Leuten und der Kreativität seine Schwierigkeiten, deswegen ist er ja auch gegangen. Und mit dem Wechsel bekam dann natürlich auch die Band so einen gewissen Schwung. Daß die Band hauptsächlich einstimmig sang, fand ich für die Musik nicht passend. Also bis zur "Merry-Go-Round" hat ja Wildschwein fast alles alleine gesungen. Er hat sich bei "Rockpommels Land" zum Teil selbst gedoppelt, das konnte man live aber nicht machen. Die zweistimmigen Sachen waren Studiosachen. Da ich gerade so Bands wie YES gut finde, die auch vom mehrstimmigen Gesang leben, war es mir unwahrscheinlich wichtig, daß wir noch eine Stimme dazu machten. Das war sicher ein Einfluß von mir. Ein typisches Stück wie "Mary Green", was am Anfang reinen Chorgesang hat, das war so eine Sache, die ich dann unbedingt machen wollte. Oder dann auch bei anderen Stücken wie zum Beispiel "Space Rider" oder "Raintime", die dann dreistimmig gesungen wurden, da habe ich versucht mich immer einzubringen. Damit will ich nicht sagen, daß das alles meine Ideen waren, aber ich habe immer versucht, diese Richtung zu puschen, weil ich begeistert von mehrstimmigen Gesängen bin. Um mehr Abwechslung in die Musik zu bringen, sollten zumindest einige Stücke mehrstimmig gesungen werden. Ich hab dann auch sehr viel an den Texten gearbeitet, durfte sehr viel schreiben. Ich hab auf der "Illegal" gleich einen Text geschrieben. Auf der "Merry-Go-Round" hatten ja noch Mist und Eroc die Texte geschrieben. Mist hat sich dann mehr oder weniger ganz da raus gezogen.

Stephan: Zu welchem Zeitpunkt schon? Zur "Illegal" schon?

Milla: Zur "Illegal"-Zeit hat er sich, was die Texte betrifft, rausgezogen. Musikalisch hat er auf der "Illegal"-LP unheimlich viel gemacht. Ich weiß nicht warum er das gemacht hat. Er hat ja auf der "Merry-Go-Round" eine Menge Texte geschrieben, hat zur "Rockpommels Land" die ganzen Hintergrundideen gehabt. Wahrscheinlich war er auch ganz froh, hatte ich so den Eindruck, daß er sich endlich ganz auf die Musik konzentrieren konnte. Auf der "Illegal" hab ich "Mary Green" und "Sniffer" geschrieben. Das klappte unheimlich gut und das gefiel auch den anderen. Da konnte ich mich also ganz gut einbringen.

Stephan: Nun zur Bühnenshow und zu den Gags, die ja eigentlich immer dazu gehörten. Ihr hattet in der Band ja alle unterschiedliche Aufgaben unter Euch aufgeteilt. Auch waren einige der Lebenspartner von Euch in diese Aufgaben mit eingebunden. Dazu gehörten Kostüme, die genäht wurden und so weiter. Welchen Anteil an diesen Dingen hattest Du?

Milla: Ich hab mich also mehr anderen Dingen gewidmet. Wir haben die Aufgaben danach aufgeteilt, wer mit etwas was anfangen konnte und wer für etwas geeignet war. Es gab ja zwei Aspekte der Show von GROBSCHNITT, einmal der, der ins bombastische, optische geht, wie bei "Solar Music" mit Figuren, Licht, Nebel und diesen ganzen Geschichten. Und daneben gab es ja diese verrückten Humorshows. Da muß ich sagen, was die Humorshows betrifft, das fand ich für mich persönlich am Anfang immer sehr gewöhnungsbedürftig. Am Anfang konnte ich über vieles, wo sich die Band drüber kaputtlachte, gar nicht lachen. Ich dachte: "Na, ob das wirklich alles so witzig ist?", da hatte ich schon meine Schwierigkeiten mit. Schwierigkeiten ist vielleicht übertrieben, aber ich habe da wenig Zugang zu gehabt. Zu der anderen Show, also wie bei "Rockpommels Land" mit Trockeneis und diese Geschichten, die fand ich total gut. Wobei ich sagen muß, daß sich das natürlich entwickelt hat. Hinterher, nachdem ich bei GROBSCHNITT dabei war und vieles erst kapierte, habe ich mich natürlich genauso über manche Gags, bei denen auch oft im Publikum keiner drüber lachen konnte, kaputtgelacht. Das waren sogenannte Insidersachen, wo die Gruppe dann eben auf dem Bauch gelegen hat. Das war manchmal für mich ne etwas seltsame Art von Humor, aber dazu hatte ich auch wenig Zugang, da ich in der Form nicht aktiv gewesen bin. Toni, Eroc und Ballermann haben unheimlich viel gemacht, selbst Lupo und Mist haben manchmal mitgemacht, aber auch eher weniger. Es waren ja wirklich nur ein paar Leute, die diese Sachen vertreten haben. Die Roadies und so einzelne Leute. Hinterher hat auch Thomas Waßkönig viel mitgemacht, er hatte da auch Spaß dabei. Das hab ich ja nie gemacht. Wir machten beispielsweise das "Milla-Sextett", das aber mehr noch eine andere Schiene war. Diese richtigen derben Gags haben Toni und Eroc ausgeheckt, wie die "Salzmann-Show" oder auch die "Ernie-Show". Zu meiner Zeit haben wir zum Beispiel nur selten die "Sahara-Show" gemacht. Die haben wir ab und zu mal gemacht, aber eher weniger. Aus diesen Sachen habe ich mich rausgehalten. Das war auch nicht so meine Stärke. Was ich bei GROBSCHNITT eben hauptsächlich gemacht habe, hat im Hintergrundbereich stattgefunden. Die einen haben die Showplanung gemacht, die wir dann gemeinsam besprochen haben. Und ich hab mich dann innerhalb der GROBSCHNITT-Familie, wo jeder seinen Bereich hatte, Lupo das Management, Toni das Licht, Eroc den Sound, Mist mit Bühnenaufbau, Dekoration, Design, da hab ich mich eben mit Promotion und Fanpost befaßt.


Milla beim stöbern in alten Sachen

Stephan: Vor allem nach dem Weggang von Mist im Jahr 1982 hat sich der GROBSCHNITT-Sound noch stärker in Richtung Kommerzialität und härtere Sounds gewandelt. Hat Mist damals den Sound von GENESIS, PINK FLOYD oder YES in die Band gebracht bzw. neben Dir diesen Stil forciert? Woran lag es Deiner Meinung nach, daß sich dieser Wandel vollzog als er die Band verließ? Ich denke der Schnitt war zu diesem Zeitpunkt am krassesten zu spüren.

Milla: Also er hat schon diese Musik sehr stark favorisiert, wobei man sagen muß, daß die anderen auch diese Musik gut fanden. Es ist nicht so, daß nur Volker oder ich für diesen Stil verantwortlich waren. Also Lupo war, das hört man auch schon an seinem Gitarrenspiel, ein ausgesprochener YES-Fan. Fan ist vielleicht übertrieben, aber er hat diese Musik gerne gehört. Eroc‘s Ding war mehr so Frank Zappa, der fand diese ganze Art von Musik schon recht gut. Auch Wildschwein fand das gut, es ist also nicht so, daß die von Mist dazu gedrängt worden sind. Mist ist ja kurz vor der "Razzia" rausgegangen. Er hatte sich irgendwie mit den Leuten auseinandergelebt. Es gab immer relativ viele Konflikte. Ich hab selten ne Band gesehen, bevor ich zu GROBSCHNITT gegangen bin, die so viel Konflikte, so viel Streit und unangenehme Spannungen hatte. Das habe ich gar nicht verstanden, weil ich ein harmoniebedürftiger Mensch bin. Aber Mist hat damals auch die Meinung vertreten, die fand ich eigentlich ganz interessant, weil es das in anderen Bands auch gibt, daß eine Band nur dann wirklich gut ist, wenn unheimlich viel Spannungen in einer Band sind. Das fördert die Kreativität. Und interessanterweise hört man so was zum Beispiel auch von YES. Die müssen sich ja nur die Köppe eingeschlagen haben, bevor sie die besten Platten gemacht haben. Und das hat GROBSCHNITT zum Teil auch gemacht. Es herrschte zum Teil ne unheimliche Spannung untereinander. Es sind ja auch sehr extreme Persönlichkeiten, auch sehr eigensinnige Persönlichkeiten, die dann auch ihre eigenen Sachen durchsetzen wollten, zusammengekommen. GROBSCHNITT hat ja wirklich alles zusammen gemacht. Da ist alles bis zum Schluß ausdiskutiert worden. Es gab also diese Situationen, wo wir uns getroffen haben ... wir haben ja jeden Tag an den Sachen geübt, wir haben uns morgens hingesetzt und es ist den ganzen Tag nichts passiert und wir sprachen nicht miteinander. Es waren also Schweigeminuten, weil irgendwie keiner weitergekommen ist, das war ne ganz komische Blockade. Das fand ich auch sehr seltsam, als ich am Anfang reingekommen bin, weil ich immer eher die Meinung vertrat, daß Musik aus einer Harmonie, aus einer Gemeinsamkeit entsteht und nicht aus einem Gegeneinander. Aber es scheint an dieser Theorie von Mist schon etwas dran gewesen zu sein, denn GROBSCHNITT war zu dem Zeitpunkt auch sehr erfolgreich. Ich glaube gerade "Rockpommels Land" und "Solar Music" entstanden unter unheimlichen Konflikten. Während zum Beispiel die LP’s in den 80‘er Jahren "Kinder und Narren" und "Fantasten", die unter vielmehr Harmonie entstanden sind (lacht), auch nicht so erfolgreich waren. Wahrscheinlich ist da irgendwas dran, ich hab‘s nicht nachvollziehen können, weil ich das für mich manchmal unerträglich fand. Ich war aber auch neu in der Band und hab erst einmal abgewartet. Mist konnte wohl nicht mehr weitermachen, da über 10 Jahre Spannungen in der Band waren. Damit will ich um Gottes Willen nicht sagen, daß er alleine der Schwierige war. Das hat irgendwie nicht mehr gestimmt. Ich fand, daß Mist ein Typ war, mit dem man unheimlich gut umgehen konnte und mit dem man wunderbar klarkam, wie ich übrigens alle GROBSCHNITT’s so empfand. Nur wenn die manchmal alle zusammen waren, war das irgendwie ganz seltsam, man kann es kaum beschreiben. Da bestanden manchmal Spannungen zwischen einzelnen Leuten, die ich auch bis heute nicht so richtig verstanden habe. Wie gesagt, alle Leute wollten diese Art von Musik schon machen, aber Mist hat natürlich ein ganz besonderes symphonisches Element durch sein Multikeyboard reingebracht und auch durch seine Art zu spielen. Wir wollten danach nicht unbedingt neue Musik machen. Am Anfang der "Razzia" hat Mist ja noch mitgemacht. Er ist ja während der Produktion rausgegangen. Wir haben dann gesagt, wir machen jetzt mal ohne Keyboarder weiter. Einen neuen Mann mitten in einer Produktion zu suchen, ist schwierig und das gibt dann natürlich ein ganz anderes Ding. Es ist ja immer so, wenn einer rausgeht, der sehr viel kreativen Einfluß hat, was Mist gehabt hat, werden natürlich neue Energien frei, oder man macht plötzlich Sachen, die man vorher nicht so machen konnte. Das heißt z. B., daß Wildschwein und Lupo jetzt gitarrenmäßig ganz andere Sachen gemacht haben und dadurch sind dann wieder andere Stücke entstanden. Hinzukommt, daß wir uns natürlich auch vorgenommen hatten, wir versuchen jetzt mal was ganz anderes und wir versuchen jetzt alles auf "Razzia" nur in deutsch zu singen und eine einfach kühlere, härtere Platte zu machen. Das hat sich einfach so ergeben. Eroc hat ja dann hinterher die Keyboards dazu gemacht, das hat er auch im Nachhinein gemacht. Die Platte ist eigentlich komplett ohne Keyboards eingespielt worden. Wir haben gesagt, wir machen jetzt einfach mal ein paar verrückte Sachen. Die Zeit war einfach reif, es war ja auch Anfang der 80‘er Jahre, überall kam neue Musik, kamen ganz neue Einflüsse, neue Bands und eine neue Musikrichtung auf. Und wir haben die irgendwie mit verarbeitet. Das hat aber GROBSCHNITT immer schon irgendwie gemacht. "Ballermann" ist auch etwas anderes als "Rockpommels Land", und "Merry-Go-Round" ist anders als "Jumbo" und "Illegal" dann noch mal wieder was anderes. Es hat sich einfach irgendwie so ergeben, daß das dann von der Musik her so geworden ist, ohne Keyboards, ohne Mist, ohne diese Art, mehr songorientiert, mehr gitarrenorientiert, mit deutschen Texten dazu. Bei einigen Stücken hat Mist ja auch noch mitkomponiert. Also das Stück "Razzia" zum Beispiel, da ist er noch dabei gewesen. Ich weiß nicht, ob er noch bei anderen Stücken auf der LP mitgemacht hat, aber er war zumindest am Anfang noch mit dabei. Das Stück "Razzia" ist ja nur ein Auszug aus "Powerplay". Aber ich glaube, auch wenn Mist dabei gewesen wäre, wäre die Platte ein bißchen in diese Richtung gegangen.

Stephan: Die Entstehungsgeschichte von den beiden Stücken "Wir wollen leben" und "Wir wollen sterben" ist sehr interessant, erzähl doch ein bißchen darüber.

Milla: Ja, da ging’s also hauptsächlich um den Text. Zu der Zeit haben Eroc und ich uns das Texten geteilt. Derjenige, der eine gute Idee hatte, hat einen Text zu einem Stück gemacht. Zu einigen Stücken fiel einem einfach sofort was ein. Der ganze Titel "Razzia" ist dadurch entstanden, daß ... der hängt ja auch so ein bißchen mit "Illegal" zusammen und "lllegal" war halt auch schon ein Vorschlag von mir und "Razzia" auch. Ich hab also immer schon in einer Wohngemeinschaft gelebt, genauso wie ich heute noch mit vielen Leuten auf einem Bauernhof lebe. Kurz bevor die Platte entstanden ist, hatten wir eine Razzia. Die Polizei hat unsere ganze WG auf den Kopf gestellt. Das hab ich dann den GROBSCHNITT-Leuten erzählt und daraus ist dann der Text zu "Razzia" entstanden, der also ne Geschichte von mir ist, die Eroc dann aber geschrieben hat. Der Text ist von Eroc, während der Titel dann von mir stammt. Daraufhin haben wir dann die ganze LP so genannt. Solche Sachen sind öfter passiert, das wir so in dieser Richtung zusammengearbeitet haben. Zur Musik von "Wir wollen leben" hatten wir anfangs beide Texte geschrieben, ich weiß jedoch nicht mehr wie der Text von Eroc hieß. Ich hatte den Text "Wir wollen leben" geschrieben und Eroc hat den dann gesehen und fand den Refrain und den Titel gut. Aber er fand damals die Strophen nicht so gut und hat dann dazu die Strophen geschrieben, hat also zu meinem Refrain ganz andere Strophen geschrieben. So ist er dann geblieben. Eroc wollte aber auf der LP noch das Gegenteil von "Wir wollen leben" haben. Es war immer so eine Sache, die für GROBSCHNITT typisch war, vor allen Dingen bei Eroc und Wildschwein, daß wenn irgendwas zu harmonieträchtig wurde, daß man dann sofort den Gegenpunkt setzen mußte. Wenn man z. B. "Rockpommels Land" nimmt, was ja eine wunderschöne LP ist, da mußten dann immer wieder so Punkte reinkommen, wie die Ernie-Show, wo dann irgendwas, was man nicht erwartete, passierte. Das wurde dann genau ins extreme Gegenteil reingezogen. Das ist ja an vielen Stellen der GROBSCHNITT-Musik so, daß etwas nicht zu süß werden durfte. Ich weiß noch, das war immer negativ, wenn ein Stück zu schön wurde, ich glaub Wildschwein nannte das dann immer ein Weihnachtslied. Dann mußte immer so ein Negativknaller da rein, irgendwas, was das ganze kaputt machte, damit das ja nicht zu süß wurde. Das ist mir bei vielen Sachen aufgefallen, das ist auch das, was ich vorhin bei "Space Rider" sagte, dies ".... ich heiß Kapolke", da mußte irgendwie so ein kleiner Stecher rein, so ein Oberschnitt vielleicht. Ich dachte am Anfang immer, "Was soll das jetzt?". Das ist aber auch mehr in der frühen Zeit gewesen, bei "Fantasten" und "Kinder und Narren" ist das nicht mehr, da war dieser Aspekt nicht mehr da. Das waren hauptsächlich Eroc und Mist. Wildschwein hat das auch immer gerne gemacht. Lupo mochte das zum Beispiel nicht so, die anderen mußten aber immer noch die "bösen Buben" raushängen lassen. GROBSCHNITT durfte nie zu brav werden. Das heißt dann auf "Wir wollen leben" bezogen, das Stück war irgendwie zu rund zu brav zu Un-GROBSCHNITT-haft, gut das war jetzt nun so, aber dann mußte wenigstens noch "Wir wollen sterben" mit auf die Platte. Das war Eroc ganz wichtig und ich weiß noch, daß ich damit gar nichts anzufangen wußte, weil einen Titel wie "Wir wollen sterben" fand ich bekloppt. Ich sagte, "Warum sterben?", das war völlig seltsam, aber nein, bei "Wir wollen leben" mußte auch "Wir wollen sterben" sein. Dann haben wir eben dieses verrückte Stück gemacht, wo ich dann schon diese Litanei gesungen hatte, diese Art Predigt, was eben "Wir wollen sterben" hat. Das hatten wir aber noch ohne Text. Und dann dachte ich, gut und habe ein bißchen darüber nachgedacht und habe dann zu dem Titel von Eroc "Wir wollen sterben" den Text dazu geschrieben, der dann auf die Offenbarung des Johannes bezogen ist. Dort wurden diese ganzen schrecklichen Dinge aufgeführt und das konnte ich dann wieder nachvollziehen. Es sieht anscheinend so aus, daß wir unsere ganze Welt bewußt kaputtmachen, sonst würden wir ja nicht so schrecklich mit ihr umgehen. Wir scheinen alle so eine Art Todessehnsucht zu haben, denn die Menschheit scheint sich wohl selbst vernichten zu wollen. Sonst würden wir ja nicht unsere ganzen Ressourcen und alles, was weiß ich, aufbrauchen, wenn wir nicht anscheinend auch irgendwie sterben wollten, also diese Richtung. Dann machte mir der ganze Text wieder einen Sinn und ich find das Stück auch im Nachhinein ganz gut. Es ist ja vor allen Dingen über Jahre auch unser Show-Opener geworden, mit diesem Kirchenfenster und dieser seltsamen Mönchsfigur mit dem Totenkopf. Als Livestück fand ich "Wir wollen sterben" immer sehr gut, das ist auch immer ganz gut angekommen.

Stephan: Deswegen habt ihr auch beide Titel auf einer Single veröffentlicht und mit unterschiedlichen Covern auf der Vor- und Rückseite versehen.

Milla: Ja genau. Im Nachhinein war das wieder unheimlich gut. Ich fand auch die Idee im Nachhinein gut, nur ich selber wär halt nie da drauf gekommen, so einen Titel zu machen. Hätte es "Wir wollen leben" nicht gegeben, wäre "Wir wollen sterben" auch nicht entstanden. Das ist also wirklich ne ganz ganz GROBSCHNITT-typische Sache. Wenn du dir genau die Shows anguckst .... guck dir "Rockpommels Land" an, das ist ja wirklich vom Konzept wunderschön, da ist ja wenig Verrücktes dran, aber es mußte dann live zumindest durch den Kakao gezogen werden. Ernie mußte dann doch ein Verrückter sein. Er durfte nicht der brave Junge sondern mußte ein ganz bekloppter Typ sein, wie er dann auch präsentiert wurde. Das zieht sich durch alles durch, bei GROBSCHNITT. Wenn man sich die ganzen Shows und Platten anguckt, wirst du das überall erleben, daß das immer wieder eine Rolle spielt.

Stephan: Das Album "Kinder und Narren", das dann später herauskam, ging sehr stark in Richtung "Neue Deutsche Welle". Viele Fans, mich eingeschlossen, konnten mit dem Album nicht mehr viel anfangen, da der Stilbruch einfach zu groß war. Wolltet ihr damit mehr in die Richtung der kommerziellen Musik gehen und neue Hörer gewinnen, oder war das der allgemeine Trend, der sich da vollzog?

Milla: Es ist eigentlich ganz witzig, daß das so rübergekommen ist. Ich weiß, daß das eben bei vielen so war. Es war insofern ganz witzig, weil wir eigentlich mit "Kinder und Narren" zurück zu den alten GROBSCHNITT gehen wollten, was sich jetzt wahrscheinlich sehr seltsam anhört, wenn man das Ergebnis kennt. Das "Kinder und Narren" so anders geworden ist, liegt eigentlich gar nicht so daran, was wir wollten, sondern was sich einfach ergeben hat. Es lag daran, daß Mist nicht mehr dabei war und das Eroc weggegangen war, was wirklich ein unheimlicher Bruch war. Sie waren zwei ganz wichtige Faktoren in der GROBSCHNITT-Musik gewesen, und wir haben zwei neue Musiker aufgenommen. Der Jürgen Cramer ist zuerst gekommen, weil Jürgen schon als Live-Keyboarder bei der Razzia-Tour dabei war. Ich hatte ja gerade eben erzählt, daß wir "Razzia" ohne Keyboarder eingespielt hatten. Wir mußten ... was heißt mußten, wir wollten auf Tournee gehen, das live spielen. Und da Eroc nicht neben den Drums die Keyboards spielen konnte, mußten wir uns einen Live-Keyboarder nehmen, der aber eigentlich gar nicht richtig zur Band gehörte, der erst mal nur mit zur Tournee ging. Übrigens, zu dem Zeitpunkt – was ich vorhin sagte – hat auch Sugar Lindemann schon mal vorgespielt. Wir hatten mehrere Keyboarder vorspielen lassen und Sugar Lindemann wäre es auch fast schon zu diesem Zeitpunkt geworden, nur er war damals sehr jung und ich glaub noch in der Ausbildung. Wir wollten ihn nicht unbedingt da rausholen. Der Jürgen Cramer war frei und ein Superkeyboarder. Er hatte damals ein sehr gutes Equipment, die Multikeyboards, die Mist gespielt hatte, konnte er gut ersetzen. Er ist dann mit auf Tournee gegangen. Wir suchten dann nach der Tournee einen Schlagzeuger, da Eroc nach der Tour gegangen ist. Wir ließen dann auch ne ganze Menge Leute vorspielen. Und der für uns qualitativ beste Schlagzeuger war Peter Jureit, der vorher bei den CONDITORS gespielt hatte. Beide waren meiner Meinung nach hervorragende Musiker, wirklich gute Musiker. Die beiden waren menschlich völlig in Ordnung, ich hab mich mit ihnen wirklich wunderbar verstanden. Nur sie waren keine besonderen GROBSCHNITT-Fans, beide nicht. Das war - glaube ich - damals der Fehler, den wir gemacht haben, wenn ich das jetzt so im Nachhinein sagen kann. Wir haben nicht darauf geachtet, daß die Leute, die neu zu GROBSCHNITT kamen, mit dem Herzen GROBSCHNITT-Fans waren, sondern wir haben darauf geachtet, daß es gute Musiker waren. Also Leute, die qualitativ gut ihr Instrument beherrschen. Das heißt, sie konnten mit unserer Musik gar nicht so viel anfangen. Sie fanden sie nicht schlecht, aber ihnen ging nicht das Herz auf, wenn sie "Solar Music" gespielt haben, wie den anderen zum Beispiel, wie mir eigentlich auch. Obwohl ich auch erst später dazugekommen bin, war ich schon jemand, der voll hinter dieser Art von Musik gestanden hat. Das haben die beiden so nicht gemacht, kann man ihnen auch gar nicht vorwerfen.

Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist aber der, daß wir immer alle Leute, die neu zu uns gekommen sind, sofort voll integriert haben. Daran haben wir auch geglaubt, das war die Philosophie der Band. Also nicht so wie GENESIS es gemacht haben, wir sind nur noch drei und wir nehmen uns zwei Musiker dazu und wir drei komponieren. Hätte man vielleicht auch machen können, daß Lupo, Wildschwein, Toni und ich das eben gemacht hätten und die beiden hätten eben spielen müssen, was wir gesagt haben. Das haben wir aber nicht gemacht, sondern haben die beiden voll integriert. Die konnten ihre ganzen Ideen sofort einbringen. Das hieß natürlich, daß sie gewisse Ideen, die wir eingebracht haben gar nicht so gut fanden, die typischen GROBSCHNITT-Ideen, und ganz eigene neue Ideen gebracht haben, die wir vielleicht auch am Anfang nicht gut fanden, die aber ganz interessant waren. Es hat eine ganz neue Chemie in der Band gegeben. Dann kamen natürlich noch viele weitere Faktoren wie der Geschmack der Zeit dazu, der sich natürlich auch geändert hat. Es kam also ne ganze Menge an Sachen dazu.

Stephan: Unter anderem auch wegen der von ihnen mitgebrachten neuen Instrumente, die in der Klangstruktur völlig anders als die bisher eingesetzten waren? Ich denke da vor allem an die Keyboards oder auch an das Schlagzeug, was meines Erachtens auch ein elektronisches Schlagzeug war und sich somit total anders, als das von Eroc anhörte.


Milla vor seinem Haus

Milla: Das ist uns damals auch von vielen Fans vorgeworfen worden, daß wir ein elektronisches Schlagzeug eingesetzt haben. Eroc war natürlich ein ganz typischer Schlagzeuger mit einem ganz typischen Stil. Und der Peter Jureit war ein ganz anderer Schlagzeuger. Technisch war er gut, hat viel mit den Simmons-Drums gearbeitet, einem elektronischen Schlagzeug, was aber damals auch völlig angesagt war. Das haben andere Bands auch gemacht, das war damals die Zeit. Heute macht man es ja wieder nicht, das war damals die Zeit, wo es jeder gemacht hat. Wir fanden das eigentlich auch ganz gut. Vom Schlagzeug und vom Keyboard hatte sich der Sound unheimlich verändert, das ist richtig. Der Sound war völlig neu, aber wie gesagt, die beiden waren voll integriert, sie hatten ihren eigenen Stil. Wir haben auch gesagt: "Ihr sollt auch Eure Musik mit verwirklichen können. Also wir wollen Euch nicht vorschreiben, was Ihr macht." Sie haben dann ihre eigenen Sachen gemacht, sehr experimentelle Sounds, von den Keyboards, zum Beispiel so ein Stück wie "Augenstern" auf der "Kinder und Narren", das ist ein Stück vom Jürgen Cramer gewesen, an dem er einen großen Anteil hatte. Das war völlig untypisch für GROBSCHNITT, paßte eigentlich gar nicht dazu. Da hatten auch einige ihre Bauchschmerzen mit. Aber das haben wir immer gehabt. Es gab auch bei "Razzia" schon Stücke, wo der ein oder andere sagte, das ist mein Lieblingsstück und die anderen dann sagten: "Ja gut, wenn Du das toll findest, ist in Ordnung." So ein Stück wie "Schweine im Weltall" war vielleicht auch nicht jedermanns Ding bei GROBSCHNITT, war nicht jedermanns Lieblingsstück, oder der Song "Remscheid" oder was weiß ich. Das war selbst bei Stücken von "Illegal" oder noch früher schon so. Jeder Musiker hatte so eins, was sein Stück war und das andere gehörte dem anderen, aber das war okay. Wenn man mit so vielen etwas macht, muß man halt Kompromisse schließen. Obwohl man insgesamt schon nur bis zu einer gewissen Grenze ging. Wenn einer sagte: "Um Gottes Willen, daß will ich gar nicht drauf haben.", dann wurde da schon drauf gehört. Es war immer noch die Möglichkeit des Kompromisses. Und bei "Kinder und Narren" sind natürlich diese neuen Einflüsse sehr stark mit hineingekommen, und das hat die LP auch unheimlich stark geprägt. Man muß auch sagen, daß wir da wieder am Anfang standen. Eroc weg, Mist weg, was machen wir jetzt? Um noch mal darauf zurückzukommen. Wir wollten eigentlich mit "Kinder und Narren" wieder etwas in Richtung "Rockpommel’s Land" machen. Wenn man zum Beispiel sieht ... also zum Beispiel die Basis wo feststand, wir machen jetzt wieder ein Konzeptalbum. Bei "Illegal" und "Razzia" hatten wir eine gemeinsame Thematik aber kein Konzeptalbum. Wir wollten also ein Konzeptalbum machen, eine Geschichte wie "Rockpommel’s Land", die einen Zusammenhang hat, die so eine Art Fantasy-Märchen ist. Natürlich ganz anders als "Rockpommel’s Land", man konnte ja so ein Ding nicht noch mal machen. Aber so ein Fantasy-Märchen, was einen Anfang und einen Schluß hatte, was wir zusammen hintereinander spielen konnten, was also einen Gesamtzusammenhang hatte. Das heißt, wir wollten eigentlich wieder mehr so etwas für die alten GROBSCHNITT-Fans machen. Und daß das musikalisch so anders geworden ist, das lag einfach an der damaligen Besetzung.

Stephan: Hat sich das denn in den Verkaufzahlen niedergeschlagen? Hat sich die Platte nicht so gut verkauft?

Milla: Klar, die Platte hat sich wesentlich schlechter verkauft als alle Platten davor. Also bis dahin war das die Platte, die sich am schlechtesten verkauft hat. Es konnten viele GROBSCHNITT-Fans nichts damit anfangen. Ohne dem Peter Jureit oder dem Jürgen Cramer da irgendwie nahezutreten, man hätte vielleicht ... vielleicht wäre es für uns besser gewesen, wir hätten einen Musiker, der nicht ganz so technisch perfekt gewesen war, der aber unbedingt GROBSCHNITT machen wollte und sich mit der Musik hundertprozentig identifiziert hätte, engagiert. Vielleicht hätten wir so jemanden hereinnehmen sollen und hätten dann mehr in diese Richtung gearbeitet, ich weiß es aber nicht. Es ist im Nachhinein immer hypothetisch, wie es gewesen wäre. Aber ich denke im Nachhinein, wenn ich das so betrachte, war das ein Grund, wobei ich sagen muß, daß ich nach wie vor finde, daß die LP "Kinder und Narren" doch ein bißchen unterschätzt worden ist. Es sind einige ganz hervorragende GROBSCHNITT-Stücke drauf. Also mit GROBSCHNITT-Stücke meine ich jetzt im Sinne der alten GROBSCHNITT-Musik zum Beispiel "Könige der Welt", "Alle Kinder zieh‘n zum Strand". Das sind durchaus Sachen, die auch in die alte GROBSCHNITT-Richtung gegangen sind.

Stephan: Wenn ich mir die Platte so ansehe ("Kinder und Narren"), kommt es mir so vor, daß die meisten Texte, die Geschichte und auch das Konzept von Dir stammen. Ist das richtig? Kann man vom Text her, nicht unbedingt von der Musik, sagen, daß es Deine Platte ist?

Milla: Jaja (lacht). Da blieb uns ja auch nichts anderes übrig. Nachdem Eroc weggegangen ist, war ich der einzige Texter, der übrig geblieben ist. Ich hab mich eigentlich gar nicht so danach gedrängt, auch zu den früheren GROBSCHNITT-Zeiten nicht. Ich war nicht der Typ der sagte, so ich mach jetzt die Texte oder sowas. Es muß aber einer sein, der das machen möchte. Manche haben damit ja auch gar nichts zu tun. Mir war schon klar, nachdem Eroc weggegangen war, daß ich das jetzt machen mußte. Wir hatten also die Idee gehabt, ein Konzeptalbum in deutscher Sprache zu machen. Das wollten wir auch alle. "Razzia" war ja auch schon in deutsch. Es war mir also klar, daß eine wahnsinnige Arbeit auf mich zu kam. Ich hab da wochenlang dran gesessen, die Geschichte zu schreiben, die Texte zu machen. Es sind zum Teil auch sehr persönliche Sachen mit reingeflossen, zumindest in die Geschichte von Fulio, dem Narren und den Kindern. Es sind viele eigene Ideen, die ich damals hatte, vom Zusammenleben, von Kindern und auch viele gesellschaftliche Sachen sind mit drin. Es geht aber vor allem um Zweierbeziehungen, um Liebe. Liebe und Besitz spielt immer wieder eine Rolle, das zentrale Thema ist die besitzlose Liebe. Es ist interessant, es gab unheimlich viele Leute, die "Kinder und Narren"-Fans waren, auch von den langjährigen GROBSCHNITT-Fans. Man soll es gar nicht glauben, es gab viele, die gar nichts mit der Platte anfangen konnten und viele, deren Nerv genau damit getroffen wurde. Irgendwo im Sauerland gab es so eine Theatergruppe in einer Gemeinde, die haben das aufgeführt. Ich bin dorthin eingeladen worden. Es war unheimlich toll. Die haben das mit der Musik gespielt. Und dann gab es noch ein Puppenspieltheater, die haben aus der Geschichte ein Handpuppenspiel gemacht. Das war unheimlich aufwendig, es war mir fast peinlich. Die hatten die Figuren nachgemacht, Fulio und Augenstern und sind mit dem Puppenspiel auch auf Tournee gegangen. Diese Leute waren so von unserer Platte beeindruckt, daß sie das so weiterverarbeitet haben. Das fand ich ganz irre. Es gab also wirklich Leute, die vorher gar nichts mit GROBSCHNITT zutun hatten und durch "Kinder und Narren" plötzlich GROBSCHNITT-Fans wurden oder das unheimlich gut fanden. Das gab es auch, es waren nur nicht so viele, es war also wahrscheinlich mehr eine Minderheitenplatte, sag ich mal. Die hat sich wirklich nicht so gut verkauft. Ich habe schon mein Herzblut da rein gegeben. Ich hätte aber trotzdem manches im Nachhinein anders besser gefunden. Ich hab zu den Texten, zu den Inhalten voll gestanden, musikalisch hätte ich mir gewünscht, daß es doch mehr eine GROBSCHNITT-Platte geworden wäre, denn es ist eigentlich auch von den Inhalten, also von der Geschichte her, sehr GROBSCHNITT-typisch. Ich glaube, da lag auch eigentlich nicht das Problem der Leute, es war mehr im musikalischen Bereich zu finden. Insofern fand ich es eigentlich sehr schade. Es ist nicht meine Intention gewesen, die Gruppe in eine andere Richtung zu bringen.

Stephan: Also wenn man das nicht weiß, kommt einem das doch so vor.

Milla: Das kann ich auch gut nachvollziehen, das würde ich genauso sehen.

Stephan: Auf der Platte ist unter anderem das Stück "Ich liebe dich". Von dem Stück hat Eroc ja hinterher eine eigene Version mit dem Titel "Ich hasse dich" gemacht. Wie fandest Du denn das?

Milla: Das zeigt, daß Eroc ja doch noch immer an GROBSCHNITT irgendwie interessiert war und das doch noch verfolgt hat. Ich habe zu der Zeit relativ wenig Kontakt zu Eroc gehabt, aber er hat sich anscheinend die Platten doch angehört. Durch seine Version taucht das typische "Wir wollen leben"-"Wir wollen sterben"-Syndrom wieder auf. Er hat sich zumindest noch soweit mit GROBSCHNITT identifiziert, daß er das Lied so nicht stehen lassen konnte. Ich kann mir vorstellen, daß Eroc dieses Stück "Ich liebe dich" irgendwie als unheimlich peinlich empfunden haben muß. Das ist wahrscheinlich das nackteste und peinlichste Stück, was GROBSCHNITT je gemacht hat. Das haben mir auch viele andere hinterher gesagt. Ich finde, es gehört auf eine Art auch wahnsinnig viel Mut dazu, so ein Stück rauszubringen. Ich glaub dem Eroc muß beim Hören ein kalter Schauer den Rücken runtergelaufen sein. Das ist ja ein "Weihnachtslied" schlechthin, wie ich diesen Ausdruck vorhin gebraucht hab. Und das konnte er, glaub ich, nicht stehen lassen, immerhin stand ja der Name GROBSCHNITT noch auf der Platte (lacht). Ich glaube, da mußte er unbedingt sein Gegenstück zu setzen. Das sehe ich jedenfalls so. Er ist sehr humorvoll. Ich habe mich mit Eroc immer wunderbar verstanden und das ist auch heute noch so. Wir sind beide Skorpione, wir sind uns sehr ähnlich. Ich habe seine Art von Humor auch immer gut verstehen können. Skorpione können ja auch sehr bissig sein. Diese bissige Art von Eroc kann ich eben sehr gut nachvollziehen. Ich habe selber mit diesem Stück "Ich liebe dich"... am Anfang hätte ich mich nicht getraut, das so zu machen. Das war dann mehr auch die Idee, wo alle sagten, das machen wir jetzt einfach so, einfach ein Klavier und einen halb gesprochenen Gesang. Ich fand das im nachhinein wieder sehr mutig, das so zu machen, gerade auch für eine Band wie GROBSCHNITT. Bei vielen Dingen ist es so, wenn du im Nachhinein darüber nachdenkst, siehst du vieles auch anders. Du mußt ja sehen, es sind bei den Platten auch manchmal Momentanentscheidungen. Du sitzt da und fragst dich, mache ich es jetzt oder mache ich es nicht, ist das jetzt gut oder ist das nicht gut, ist es zuviel oder ist es nicht zuviel, sollte man lieber die Finger davon lassen oder nicht. Dann sagst du irgendwann, okay jetzt machen wir es. Das ist bei "Razzia" bei manchen Sachen so gewesen. Zehn Jahre später oder auch wieviel Jahre immer, hörst du dir das an und wirst damit konfrontiert. Es kann durchaus sein, daß man sagt naja, ist vielleicht doch ein bißchen peinlich (lacht), hätte man doch vielleicht die Finger weglassen sollen. Aber in dem Augenblick, je nachdem wie du gerade drauf bist, ob du gut oder schlecht geschlafen hast, ob du gerade Krach mit deiner Frau hattest, wie auch immer, das spielt dann ja alles da rein. Und zehn Jahre später bist du wo ganz anders und guckst dir das dann im Nachhinein an. Es sind viele Sachen, wenn ich mir GROBSCHNITT angucke, die aus dem Augenblick entstanden sind, wo ich mich heute nicht unbedingt 100%ig mit identifizieren kann, oder wo ich sagen würde, das hätte ich lieber anders gemacht oder das würde ich heute anders machen, klar. Ich kann mich noch erinnern, daß ich schon Zweifel hatte, gerade bei so einem Stück wie "Ich liebe dich". Ist das richtig, ist das vielleicht eine Persiflage? Wenn man sich den Text genau anguckt, ist das ja ein sehr zweifelndes Stück. Es ist ja gar nicht so himmelhochjauchzend, wie es eben so ein Schlager mit solch einem Titel wäre. Der Text ist ja auch sehr nachdenklich und am Ende auch sehr verzweifelt. Fulio weiß gar nicht, was er in dieser Situation mit dieser Frau anfangen soll, das ist natürlich nicht immer so ganz rübergekommen. Es ist auch sehr nackt und sehr verzweifelnd dargestellt. Ich mußte das dann auch immer auf der Bühne live singen (lacht), das war schon sehr heftig. Neulich habe ich wieder die Aufzeichnung von Radio Bremen, die Du ja schon erwähntest, gesehen. Da dachte ich auch, um Gottes Willen, hoffentlich sieht das keiner (lacht). Als Eroc das am Anfang gemacht hat, dachte ich, naja, typisch (lacht), muß er ja machen. Ich denke mittlerweile, daß man so einige Sachen von "Kinder und Narren" selber nicht so bierernst nehmen sollte.

Stephan: Einige Musiker sagen ja immer, daß ihre eigenen Frauen bzw. Partner ihre besten Kritiker seien. War das bei Euch ähnlich, oder habt Ihr selbst entschieden, was gut und was schlecht war? Oder habt Ihr jemand anderes geholt, der sich die Stücke mal angehört und Euch seine Meinung dazu gesagt hat?

Milla: Es ist natürlich schon schwer mit diesen sechs Leuten, die wir meistens waren, Kompromisse zu finden, die alle gut fanden. Wenn einer da etwas überhaupt nicht gut fand, wären wir ja gar nicht voran gekommen. Ich weiß, daß einige ihre Frauen schon mit einbezogen haben. Ich hab meiner Frau das auch immer mal vorgespielt, aber die hat da relativ wenig zu gesagt. Ich weiß zumindest, daß Lupo seiner Frau oft Sachen vorspielte. Wie weit die Frauen ihre Männer nun beeinflußt haben, weiß ich gar nicht. Die Frauen waren teilweise auch mit auf Tournee, die haben schon eine ganze Menge dazu gesagt und eine Meinung gehabt.

Stephan: 1988, also ein Jahr bevor sich die Band aufgelöst hat, hast Du ja Grobschnitt endgültig verlassen. War zu diesem Zeitpunkt das Ende der Band schon abzusehen?

Milla: Ja, zu dem Zeitpunkt war das Ende eigentlich schon beschlossene Sache. Es ist nicht so gewesen, daß ich jetzt irgendwie Schwierigkeiten mit Band hatte oder ich ausgestiegen wäre, sondern wir haben uns alle zusammengesetzt und haben uns gefragt: "Was machen wir? Wie geht’s weiter ?" Wir waren zum damaligen Zeitpunkt mit vielen Situationen nicht sehr zufrieden, vor allen Dingen nicht mit der Plattenindustrie. Wir hatten das Gefühl, daß wir viele Freiheiten, die wir immer gehabt hatten, verloren hatten, daß uns die Plattenindustrie immer mehr reingeredet hat, wie wir die Stücke zu machen hatten. Die Entwicklung wurde immer kommerzieller. Es war nicht mehr wie früher: "GROBSCHNITT macht eure LP’s, ihr könnt eure Cover selber gestalten, die Stücke, macht was ihr wollt. Wird toll, astrein." Sondern es wurde gesagt: "Die müssen einen Hit haben. Das muß im Radio gespielt werden etc." Und sie gaben auch immer weniger Geld aus. Wir hatten das Gefühl, daß es nicht mehr das war, was wir eigentlich wollten. Und dann fragten wir uns halt: "Was machen wir jetzt weiter? Wie machen wir weiter?" Und einige meinten, daß es so eigentlich nicht weitergeht. Dann haben wir gedacht: "Gut, wir sind im Moment noch unheimlich erfolgreich und angesagt. Uns geht’s gut. Wir sind ne Band, wo die Leute noch nicht sagen: "Um Gottes Willen die alten Säcke spielen ja immer noch? Was wollen die eigentlich, die sind doch schon auf einem absteigenden Ast. Die verkaufen keine Platten mehr und es kommen keine Leute mehr zu den Konzerten." Wir sind eigentlich noch gut da. Wahrscheinlich ist jetzt, so im Sinne – wenn’s am schönsten ist, dann sollte man aufhören – ein guter Zeitpunkt aufzuhören." Und der Meinung waren eigentlich mehr oder weniger alle. Ich weiß noch, daß Lupo auch sehr dafür war. Ob Toni noch weitergemacht hätte, weiß ich nicht, aber ich glaube das war schon die Stimmung in der Band. Wir haben oft zusammengesessen und wußten nicht genau, was wir in den nächsten Jahren machen sollten. Es war ein gemeinsamer Entschluß der Band. Ich wollte damals gern ins Ausland gehen. Ich hatte eine Ausbildung als Waldorf-Lehrer angefangen, die dauerte ein Jahr. Zu der Zeit habe ich aber noch bei GROBSCHNITT gespielt. Ich habe dann tagsüber diese Lehrausbildung gemacht und abends fanden dann noch ein Paar Auftritte statt. Ich wollte dann gern zu einer Schule nach Portugal gehen und auch mit meiner Familie dorthin ziehen. Das war auch ein Aspekt, weswegen ich ganz gerne aufhören wollte. Ein weiterer Aspekt war, das ein Sohn 6 / 7 Jahre alt und gerade in die Schule gekommen war und der andere 3 / 4 Jahre wurde und ich das Gefühl hatte, daß dieses Musikerleben nicht gerade familienfreundlich war. Durch die Tourneen war ich dauernd weg, sah meine Kinder zu selten und das gefiel mir überhaupt nicht. Aus diesen Gründen wollte ich mit meiner Familie nach Portugal. GROBSCHNITT wollte aber noch eine Abschiedstournee machen, um sich von den Fans zu verabschieden, bei der ich normalerweise mitgemacht hätte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Möglichkeit in Portugal an einer Waldorf-Schule anzufangen und dann gefragt, ob sie die Tournee auch ohne mich machen könnten. Und sie sagten: "Ja gut, machen wir halt." Sugar Lindemann, mit dem ich früher jahrelang Musik gemacht hatte, er war damals der GREEN-Keyboarder, den haben sie dann gefragt, ob er die Tournee mitmachen würde und er ist dann eingestiegen. Für mich kam der Harald Eller, den ich gar nicht kannte, in die Band, da war ich schon fast weg, da ist der gefragt worden, deswegen habe ich den nur sehr kurz kennengelernt. Wir haben uns mal getroffen und ich habe ihm die ganzen Bässe für die Tournee gezeigt, damit das schneller für ihn ging. Dann sind die eben ohne mich auf Tournee gegangen. Das fand ich eigentlich sehr schade, da die Band eine sehr freundschaftliche Sache war, aber ich mußte halt schon weg. Ich durfte dann aber netterweise zu dem allerletzten Auftritt in Hagen von Portugal aus rüberfliegen Hab mir also ein paar Tage frei genommen und bin rübergeflogen. Ich bin dann noch mal bei "Mary Green" und "Solar Music", bei den Teilen, die ich eben früher gesungen hab, mit auf die Bühne gegangen. Das war eine schöne Sache. Danach haben wir dann noch richtig gefeiert.

Stephan: Vor einem Jahr hat es in Hagen-Hohenlimburg ein Konzert gegeben, bei dem Wildschwein mit seinem Sohn und unter anderem mit Sugar Lindemann zwei Stücke von GROBSCHNITT gespielt hat. Du warst ja auch mit auf der Bühne. Kannst Du da ein wenig zu erzählen?

Milla: Dieses Konzert haben wir in Hohenlimburg in der Berlet-Halle gemacht. Das ist zur Zeit wohl die größte Konzerthalle in Hagen. Ich spiele .... jetzt kann ich eigentlich meine Geschichte weitererzählen. Als ich aus Portugal wieder zurückgekommen bin und es GROBSCHNITT nicht mehr gab, hab ich eine Band mit dem Namen MARRAKESH EXPRESS gemacht, mit der ich heute noch zusammenspiele. Das sind viele alte Freunde, viele alte Hagener Musiker, auch Sugar Lindemann spielt dort mit. Das ist mehr oder weniger so eine Art Coverband. Wir spielen CROSBY, STILLS, NASH-Sachen. Ich hab vorhin schon mal gesagt, daß ich auch sehr großen Wert auf Gesang lege, daher ist das eine gesangsorientierte Gruppe. Wir sind so im Moment eine der angesagten lokalen Bands in Hagen. Wir spielen auch relativ viel. Das ist so meine Hobbyband. Wir haben voriges Jahr unser 10jähriges Bestehen in der Berlet-Halle gefeiert. Zehn Jahre deswegen, weil ich schon 1988 mit der Band angefangen habe. Wir haben in der Berlet-Halle gespielt und haben dann überlegt ob wir uns nicht eine Vorband nehmen sollten. Ich hatte gehört, daß Wildschwein mit seinem Sohn auch eine Band gemacht hat.

Stephan: Welche Art von Musik haben die gespielt?

Milla: Mal überlegen wie die heißen. Wie heißen die noch? SCHÖNES BLEIBT heißt die Band. Die machen auch Coversachen, so mit akustischen Gitarren. Wildschwein war früher schon immer ein EAGLES-Fan und daher spielen sie EAGLES- und auch BEATLES-Stücke und all solche Sachen. Ich fand die Idee toll, daß sie bei uns im Vorprogramm spielen. Das haben wir dann natürlich auch kommerziell ein bißchen ausgeschlachtet. Es stand dann in der Zeitung: "Zum ersten Mal Wildschwein von GROBSCHNITT live auf der Bühne", während ich ja die ganzen Jahre immer gespielt hatte, bin immer hier aufgetreten, das war also insofern nichts Besonderes. Wir überlegten uns dann halt, gut, wenn wir alle schon zusammen sind, Sugar Lindemann spielt also bei MARRAKESH EXPRESS, ich auch, Wildschwein eben da, dann machen wir halt ein - zwei GROBSCHNITT-Stücke. Ich habe dann Wildschwein gefragt, ob er Lust dazu hätte und er fand das total gut. Dann haben wir Kurt Mitzkatis Bescheid gesagt, der hat das dann sofort verbreitet. Zu diesem Konzert waren wirklich GROBSCHNITT-Fans aus ganz Deutschland da. Wir haben dann überlegt, was wir ohne großen Aufwand spielen könnten. Und dann haben wir uns getroffen, haben Toni natürlich gefragt, ob er mitmachen wollte. Toni hat sofort zugesagt. "Raintime" und "Anywhere" boten sich an, weil das ja keine eigene Band sein sollte, sondern das war irgendwie so dazwischen gesetzt,. Bei "Anywhere" habe ich nicht mitgemacht. Toni, Wildschwein und Sugar Lindemann haben mit einem anderen Bassisten, aus dieser Band von Wildschwein, gespielt. Ich hab dann bei "Raintime" mitgespielt, also quasi in der Originalbesetzung. Dann waren noch Eroc, Mist und auch der Baer da. Die sind auf die Bühne gekommen und spielten bei "Raintime" Percussion. Das war eine ganz lustige Sache für die GROBSCHNITT-Fans. Kurt Mitzkatis hatte das dann arrangiert, daß die ganzen Leute dann alle kamen. Er hat alle angerufen und so eine richtige Band daraus gemacht, das war wirklich schön. Von dieser Veranstaltung gibt es auch ein Video (Anmerkung von mir: siehe unter der Rubrik Video "TV-Video-Collection"). Wir spielen weiter mit MARRAKESH EXPRESS. Ich weiß nicht, wie oft Wildschwein mit seiner Band auftritt, ich glaube aber eher weniger. Aber es ist ja wirklich leider so, daß von allen GROBSCHNITT-Musikern außer Hunter und dem Baer, der macht auch noch irgendwo live Musik, also alles die Bassisten und natürlich Mist nur noch ich Musik machen. Was Eroc, Wildschein und Lupo betrifft, die machen leider keine Livemusik mehr.

Stephan: Eroc ist in diesem und im letzten Jahr auf dem EuroSonicFestival live aufgetreten.

Milla: Ja, genau. Sie haben zumindest jahrelang keine Livemusik mehr in ihrer Funktion, wie Eroc zum Beispiel als Schlagzeuger, gespielt. Eroc macht ja mehr elektronische Sachen. Ich habe immer sehr bedauert, daß Eroc damals nicht mehr live Schlagzeug gespielt hat, da er ein sehr guter Schlagzeuger war. Ja und einige haben sich leider ganz zur Ruhe gesetzt. Aber das Konzert in der Belet-Halle war jedenfalls ein ganz schönes Event.

Stephan: Du hast vorhin gesagt, daß Ihr mit MARRAKESH EXPRESS Songs von Neil Young bzw. von CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG covert. Heißt das, daß Ihr keine eigenen Stücke schreibt und daß es auch keine Produktionen von Euch gibt?

Milla: Wir haben keine eigenen Stücke, wir interpretieren die Sachen nur. Wenn Du mal den Kurt fragst, der uns schon öfter gesehen hat, dann wird er Dir bestätigen, daß es schon sehr eigenständige Musik ist. Wir versuchen nicht so zu sein wie das Original, wir nehmen die Songs nur aus dem Original und interpretieren sie. Die Band ist schon sehr gut, muß ich sagen. Und ich sage das nicht, weil ich dort mitspiele, sondern weil wir live unheimlich gut ankommen. Mit der Band spiele ich schon unheimlich gerne. Das ist eine Amateurband (lacht) und ich habe einen sehr zeitintensiven Beruf und die anderen zum Teil auch, wobei da auch ein paar Musikprofis dabei sind. Wenn du eigene Sachen machen willst, machst du die, weil du irgend etwas damit erreichen willst und das wollen wir nicht. Du mußt auch sehr viel Zeit haben, und die Zeit haben wir einfach nicht. Dann ist es einfacher, wenn du Musik machen willst, andere zu covern. Ich würde gerne eigene Sachen machen, aber das geht vom Zeitaufwand nicht. Wir haben damals an der Platte "Illegal" ein ganzes Jahr gearbeitet, das war hauptsächlich Kompositionszeit. Wir haben monatelang jeden Tag gearbeitet. Wir haben jeden Tag sechs bis sieben Stunden da gesessen und Musik gemacht wie die Verrückten, um auf das Ergebnis zu kommen. Es gibt wahrscheinlich Leute, die schneller sind, keine Frage, aber für mich bedeutet eigene Stücke zu machen, immer ein gewisser Zeitaufwand. Das mal so eben nebenbei, schaffe ich nicht.

Stephan: Ich habe in einem Interview gelesen, daß Du zum damaligen Zeitpunkt, ich glaube, das war als Du bei GROBSCHNITT angefangen hast, daß Du Dir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen konntest, bis zu Deinem 60. Lebensjahr immer das gleiche zu machen. Du wolltest damals Deinen gelernten Beruf Lehrer nicht ergreifen – dieses in den Beamtenstand einzutreten -. Jetzt übst Du doch den Beruf des Lehrers aus. Wie hast Du den Umstieg vom Musiker zum "normalen" Beruf empfunden, wie ist er Dir gelungen? Das muß doch schwierig gewesen sein.

Milla: Es ging eigentlich, weil ich ja das Lehrersein mit der Geschichte in Portugal verknüpft habe. Ich fand das nicht so schwer. Für mich war es immer unheimlich wichtig, einem gewissen Ideal zu folgen. Das war auch ein Grund, warum ich Musik gemacht habe und warum ich bei GROBSCHNITT gespielt habe. GROBSCHNITT ist halt eine Band gewesen, die nicht sehr kommerziell war. Die Mitglieder sind darüber auch leider nie so wahnsinnig reich geworden, also im Vergleich zu so Leuten wie Westernhagen oder Grönemeyer, weil es auch nie so unser Ding war. Wir haben immer versucht, so gewisse Ideale aufrecht zu erhalten. Es gab Demokratie in der Band, jeder bestimmte mit. Wir haben auch versucht, ehrliche Inhalte zu verfolgen. Ich glaube, das haben auch viele Leute bemerkt, daß wir nicht eine Band waren, die versuchte, nur eine schnelle Mark zu machen, sondern daß wir uns Mühe gegeben haben. Alleine unsere Showproduktionen waren schon alle wahnsinnig. Alle die finanziell, materiell kalkuliert haben, sagten: "Ihr seid bescheuert". Wir haben einen so hohen Aufwand, so teuere Produktionen zum damaligen Zeitpunkt gehabt – heute wird bei Konzerten ja viel mehr investiert, allerdings ist der Eintritt auch höher -, wir haben soviel Geld in die Produktionen gesteckt, daß nach den Konzerten kaum noch was für uns übrig blieb. Jeder von uns hätte damals mehr Geld verdienen können, wenn wir so schlau gewesen wären, und hätten viel billigere Produktionen, also Shows, gemacht. Weniger Roadies, weniger LKW’s, weniger Licht, was weiß ich. Das wollten wir aber nicht, das war uns egal. Wir wollten unsere Ideen und Ideale, wir wollten es so machen. Das war mir auch sehr wichtig. Das war auch mit ein Hauptgrund, warum ich aufgehört habe, denn das hatte sich in den 80‘ern verändert. Mein Lehrersein konnte insofern meinem Ideal dann wieder entsprechen, weil ich Waldorf-Lehrer geworden bin. Das ist eben eine gewisse Art Lehrer zu sein, eine gewisse Art von Schule, die mich völlig begeistert, die auch meinen Idealen entspricht. Ich habe damit angefangen, als meine Kinder zur Schule gegangen sind, habe meine beiden Kinder auch immer unterrichtet. Ich war Klassenlehrer meines jüngsten Sohnes, der inzwischen auch Musik in einer Band macht, in der ich auch mitspiele.

Stephan: Ein zweites Projekt?

Milla: Ja, ein zweites Projekt, in dem ich spiele, wenn ich Zeit habe. Dort spielen meine Frau und die Leute mit, die hier wohnen, also praktisch eine WG-Band. Auch die Kinder sind dabei. Ich war eben jahrelang der Lehrer meines Sohnes und habe dadurch eine starke Verbindung zu meinem Beruf gehabt und bin so wahrscheinlich kein normaler Lehrer gewesen. Wenn Du die Interviews liest, die ich zur "Kinder und Narren"-Zeit gegeben habe, da sage ich nämlich schon, daß die Philosophie hinter "Kinder und Narren" war, wenn man was - sag ich mal - an der Gesellschaft positiv verändern will, muß man in die Kinder investieren. Das ist letztendlich die Zukunft. Wenn nicht alles kaputtgehen soll, alles zerstört werden soll, muß man sehen, daß man die nächste Generation so führt, daß die Zukunft besser wird. Es sieht im Moment leider nicht so aus,daß das problemlos gelingt, das liegt an vielen äußeren Dingen, daß die Kinder eher von vielen Kräften in eine negative Richtung hineingedrängt werden. Dagegen heißt es auch Gegenkräfte zu entwickeln, also so eine Richtung zu schaffen, wo man meint, daß man was Positives bewirken kann. Das ist das, was ich zum Beispiel mit der Waldorf-Schule verbinde. Insofern ist das für mich kein Bruch, sondern ein Weg, der einfach weitergeführt wird. Wobei der andere Aspekt, daß ich nicht bis zum 60. Lebensjahr Lehrer sein wollte, der ist, daß ich ja noch gar nicht so lange Lehrer bin und ich nicht weiß, ob ich das bis zum 60. mache. Es sind gerade mal zehn Jahre vergangen.

Stephan: Und an was für einer Schule unterrichtest Du jetzt?

Milla: An der Waldorf-Schule in Remscheid, das ist hier gleich in der Nähe. Es kann aber durchaus sein, daß ich irgendwann wieder etwas anderes mache. Ich kann mir auch vorstellen, wenn es dann ein GROBSCHNITT-Revival geben würde, wieder professionell Musik zu machen.

Stephan: Wissen denn Deine Schüler, was Du für eine musikalische Vergangenheit hast?

Milla: Ja klar.

Stephan: Und wie reagieren die darauf?

Milla: Ganz gut. Ich spiele ja auch heute noch in Bands wo die uns zum Teil sehen. Und wir haben an der Schule auch eine Lehrerband und ich mach auch unheimlich viel Musik mit denen. Es sind auch gerade viele Eltern, weniger die Schüler, die dann so meine Generation oder etwas jünger sind. Da sind viele aus dieser Gegend, Remscheid – da gibt es ja sogar einen Song von uns – die auf GROBSCHNITT-Konzerten waren. Und auch viele Kollegen haben uns damals gesehen. Man glaubt gar nicht, wieviel Leute hier in dieser Gegend schon GROBSCHNITT gesehen oder Platten haben und mich von damals noch kennen. Insofern ist das schon bekannt, daß ich bei GROBSCHNITT war.

Stephan: Beim stöbern durch die ganzen alten Zeitungsartikel, die ich bekommen habe, las ich, daß Du 1980 geheiratet hast. Was mich gewundert hat war eigentlich, daß die Hochzeit durch die ganzen Gazetten ging. Das lag wahrscheinlich daran, daß der Vater Deiner Frau politisch sehr engagiert war, er war Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter. Ein weiterer Punkt war die lila Farbe Eurer Kleidung, was ja doch sehr ungewöhnlich und fast schon eine Sensation war. Wie habt Ihr den Rummel um Euch damals empfunden?

Milla: Ich fand das eigentlich ganz witzig. Wir sind damals eigentlich immer in lila rumgelaufen, deshalb haben wir das dann auch bei der Hochzeit gemacht. Das hatte eigentlich wenig zu bedeuten. Es war eigentlich so, daß ich nie heiraten wollte. Meine Frau und ich fanden es einfach bescheuert zu heiraten, das war uns einfach viel zu blöde. Wie das so ist, haben die Eltern dann gesagt, heiratet doch lieber. Und dann haben wir gesagt: "Gut, heiraten wir eben, damit wir unsere Ruhe haben." Da war meine Frau schon im achten Monat schwanger. Ein Monat später ist unser Sohn dann gekommen. Bedingung für die Heirat war allerdings, daß die Eltern nicht dabei sein durften, wir wollten nicht so einen großen Zirkus haben, daher haben wir auch nicht kirchlich geheiratet. Wir gingen dann zum Standesamt und unterschrieben und gingen in die Eisdiele und danach wieder nach Hause. Das hatten wir so vereinbart und die Eltern waren ganz froh, daß wir überhaupt geheiratet haben und waren dann auch damit einverstanden. Seltsamerweise hat irgendjemand, der davon wußte, die Zeitung darüber informiert. Da standen dann Reporter von Zeitungen vor dem Standesamt. Auch von GROBSCHNITT waren einige Leute da und haben Gitarre gespielt und dazu gesungen. Unter anderem spielten sie das Lied "Marmor, Stein und Eisen bricht" von Drafi Deutscher, das war ganz witzig. Ja und das war eigentlich alles. Der Standesbeamte war völlig fertig, weil wir gesagt haben: "Mach schnell, wir wollen keine Rede hören, wir wollen nur eben unterschreiben." Irgendwelche Freunde von uns haben dann Trauzeugen gespielt und danach haben wir dann gesagt: "So jetzt gehen wir noch ein Eis essen." und das war’s dann. Wir haben keine Feier gemacht, weil heiraten war sowieso kein Grund irgendwas Besonderes zu machen. Die Zeitungen haben dann aber darüber geschrieben, es stand damals auch im Kölner Express, in der Quick, in der Praline, das war mir ganz peinlich. Die Reporter haben das dann wohl untereinander rumgegeben, ich weiß auch nicht. Da waren ja nur ein/zwei Reporter von den Lokalzeitungen vor Ort. Und dann ist es so dargestellt worden, daß ihr Vater, der Staatssekretär war und sich damals im Wahlkampf (Bundestagswahl) befand, noch nicht einmal Zeit gefunden hätte, zur Hochzeit seiner Tochter zu kommen. Das ist dann brutaler Weise politisch ausgeschlachtet worden. Das fanden wir natürlich völlig daneben, weil es ja auch nicht der Wahrheit entsprach. Er wäre sofort gekommen, er hat auch ein total gutes Verhältnis dazu. Das ganze war ein reines Mißverständnis. Dann haben wir versucht eine Gegendarstellung zu bringen. Die Praline hat es gemacht, die anderen aber nicht. Und dann war uns das zu viel Theater und am Ende auch egal. Mein Schwiegervater hat dann noch schnell eine Fete arrangiert, wo dann auch alle GROBSCHNITT-Leute waren. Das war die erste große Fete, wo wir alle zusammen waren.

Stephan: Herzlichen Dank Milla, für das sehr ausführliche Gespräch.

Milla Menue