Milla: Das ist uns damals auch von vielen Fans
vorgeworfen worden, daß wir ein elektronisches Schlagzeug eingesetzt haben. Eroc war
natürlich ein ganz typischer Schlagzeuger mit einem ganz typischen Stil. Und der Peter
Jureit war ein ganz anderer Schlagzeuger. Technisch war er gut, hat viel mit den
Simmons-Drums gearbeitet, einem elektronischen Schlagzeug, was aber damals auch völlig
angesagt war. Das haben andere Bands auch gemacht, das war damals die Zeit. Heute macht
man es ja wieder nicht, das war damals die Zeit, wo es jeder gemacht hat. Wir fanden das
eigentlich auch ganz gut. Vom Schlagzeug und vom Keyboard hatte sich der Sound unheimlich
verändert, das ist richtig. Der Sound war völlig neu, aber wie gesagt, die beiden waren
voll integriert, sie hatten ihren eigenen Stil. Wir haben auch gesagt: "Ihr sollt
auch Eure Musik mit verwirklichen können. Also wir wollen Euch nicht vorschreiben, was
Ihr macht." Sie haben dann ihre eigenen Sachen gemacht, sehr experimentelle Sounds,
von den Keyboards, zum Beispiel so ein Stück wie "Augenstern" auf der
"Kinder und Narren", das ist ein Stück vom Jürgen Cramer gewesen, an dem er
einen großen Anteil hatte. Das war völlig untypisch für GROBSCHNITT, paßte eigentlich
gar nicht dazu. Da hatten auch einige ihre Bauchschmerzen mit. Aber das haben wir immer
gehabt. Es gab auch bei "Razzia" schon Stücke, wo der ein oder andere sagte,
das ist mein Lieblingsstück und die anderen dann sagten: "Ja gut, wenn Du das toll
findest, ist in Ordnung." So ein Stück wie "Schweine im Weltall" war
vielleicht auch nicht jedermanns Ding bei GROBSCHNITT, war nicht jedermanns
Lieblingsstück, oder der Song "Remscheid" oder was weiß ich. Das war selbst
bei Stücken von "Illegal" oder noch früher schon so. Jeder Musiker hatte so
eins, was sein Stück war und das andere gehörte dem anderen, aber das war okay. Wenn man
mit so vielen etwas macht, muß man halt Kompromisse schließen. Obwohl man insgesamt
schon nur bis zu einer gewissen Grenze ging. Wenn einer sagte: "Um Gottes Willen,
daß will ich gar nicht drauf haben.", dann wurde da schon drauf gehört. Es war
immer noch die Möglichkeit des Kompromisses. Und bei "Kinder und Narren" sind
natürlich diese neuen Einflüsse sehr stark mit hineingekommen, und das hat die LP auch
unheimlich stark geprägt. Man muß auch sagen, daß wir da wieder am Anfang standen. Eroc
weg, Mist weg, was machen wir jetzt? Um noch mal darauf zurückzukommen. Wir wollten
eigentlich mit "Kinder und Narren" wieder etwas in Richtung
"Rockpommels Land" machen. Wenn man zum Beispiel sieht ... also zum
Beispiel die Basis wo feststand, wir machen jetzt wieder ein Konzeptalbum. Bei
"Illegal" und "Razzia" hatten wir eine gemeinsame Thematik aber kein
Konzeptalbum. Wir wollten also ein Konzeptalbum machen, eine Geschichte wie
"Rockpommels Land", die einen Zusammenhang hat, die so eine Art
Fantasy-Märchen ist. Natürlich ganz anders als "Rockpommels Land", man
konnte ja so ein Ding nicht noch mal machen. Aber so ein Fantasy-Märchen, was einen
Anfang und einen Schluß hatte, was wir zusammen hintereinander spielen konnten, was also
einen Gesamtzusammenhang hatte. Das heißt, wir wollten eigentlich wieder mehr so etwas
für die alten GROBSCHNITT-Fans machen. Und daß das musikalisch so anders geworden ist,
das lag einfach an der damaligen Besetzung.
Stephan: Hat sich das denn in
den Verkaufzahlen niedergeschlagen? Hat sich die Platte nicht so gut verkauft?
Milla: Klar, die Platte hat sich
wesentlich schlechter verkauft als alle Platten davor. Also bis dahin war das die Platte,
die sich am schlechtesten verkauft hat. Es konnten viele GROBSCHNITT-Fans nichts damit
anfangen. Ohne dem Peter Jureit oder dem Jürgen Cramer da irgendwie nahezutreten, man
hätte vielleicht ... vielleicht wäre es für uns besser gewesen, wir hätten einen
Musiker, der nicht ganz so technisch perfekt gewesen war, der aber unbedingt GROBSCHNITT
machen wollte und sich mit der Musik hundertprozentig identifiziert hätte, engagiert.
Vielleicht hätten wir so jemanden hereinnehmen sollen und hätten dann mehr in diese
Richtung gearbeitet, ich weiß es aber nicht. Es ist im Nachhinein immer hypothetisch, wie
es gewesen wäre. Aber ich denke im Nachhinein, wenn ich das so betrachte, war das ein
Grund, wobei ich sagen muß, daß ich nach wie vor finde, daß die LP "Kinder und
Narren" doch ein bißchen unterschätzt worden ist. Es sind einige ganz hervorragende
GROBSCHNITT-Stücke drauf. Also mit GROBSCHNITT-Stücke meine ich jetzt im Sinne der alten
GROBSCHNITT-Musik zum Beispiel "Könige der Welt", "Alle Kinder ziehn
zum Strand". Das sind durchaus Sachen, die auch in die alte GROBSCHNITT-Richtung
gegangen sind.
Stephan: Wenn ich mir die Platte
so ansehe ("Kinder und Narren"), kommt es mir so vor, daß die meisten Texte,
die Geschichte und auch das Konzept von Dir stammen. Ist das richtig? Kann man vom Text
her, nicht unbedingt von der Musik, sagen, daß es Deine Platte ist?
Milla: Jaja (lacht). Da blieb
uns ja auch nichts anderes übrig. Nachdem Eroc weggegangen ist, war ich der einzige
Texter, der übrig geblieben ist. Ich hab mich eigentlich gar nicht so danach gedrängt,
auch zu den früheren GROBSCHNITT-Zeiten nicht. Ich war nicht der Typ der sagte, so ich
mach jetzt die Texte oder sowas. Es muß aber einer sein, der das machen möchte. Manche
haben damit ja auch gar nichts zu tun. Mir war schon klar, nachdem Eroc weggegangen war,
daß ich das jetzt machen mußte. Wir hatten also die Idee gehabt, ein Konzeptalbum in
deutscher Sprache zu machen. Das wollten wir auch alle. "Razzia" war ja auch
schon in deutsch. Es war mir also klar, daß eine wahnsinnige Arbeit auf mich zu kam. Ich
hab da wochenlang dran gesessen, die Geschichte zu schreiben, die Texte zu machen. Es sind
zum Teil auch sehr persönliche Sachen mit reingeflossen, zumindest in die Geschichte von
Fulio, dem Narren und den Kindern. Es sind viele eigene Ideen, die ich damals hatte, vom
Zusammenleben, von Kindern und auch viele gesellschaftliche Sachen sind mit drin. Es geht
aber vor allem um Zweierbeziehungen, um Liebe. Liebe und Besitz spielt immer wieder eine
Rolle, das zentrale Thema ist die besitzlose Liebe. Es ist interessant, es gab unheimlich
viele Leute, die "Kinder und Narren"-Fans waren, auch von den langjährigen
GROBSCHNITT-Fans. Man soll es gar nicht glauben, es gab viele, die gar nichts mit der
Platte anfangen konnten und viele, deren Nerv genau damit getroffen wurde. Irgendwo im
Sauerland gab es so eine Theatergruppe in einer Gemeinde, die haben das aufgeführt. Ich
bin dorthin eingeladen worden. Es war unheimlich toll. Die haben das mit der Musik
gespielt. Und dann gab es noch ein Puppenspieltheater, die haben aus der Geschichte ein
Handpuppenspiel gemacht. Das war unheimlich aufwendig, es war mir fast peinlich. Die
hatten die Figuren nachgemacht, Fulio und Augenstern und sind mit dem Puppenspiel auch auf
Tournee gegangen. Diese Leute waren so von unserer Platte beeindruckt, daß sie das so
weiterverarbeitet haben. Das fand ich ganz irre. Es gab also wirklich Leute, die vorher
gar nichts mit GROBSCHNITT zutun hatten und durch "Kinder und Narren" plötzlich
GROBSCHNITT-Fans wurden oder das unheimlich gut fanden. Das gab es auch, es waren nur
nicht so viele, es war also wahrscheinlich mehr eine Minderheitenplatte, sag ich mal. Die
hat sich wirklich nicht so gut verkauft. Ich habe schon mein Herzblut da rein gegeben. Ich
hätte aber trotzdem manches im Nachhinein anders besser gefunden. Ich hab zu den Texten,
zu den Inhalten voll gestanden, musikalisch hätte ich mir gewünscht, daß es doch mehr
eine GROBSCHNITT-Platte geworden wäre, denn es ist eigentlich auch von den Inhalten, also
von der Geschichte her, sehr GROBSCHNITT-typisch. Ich glaube, da lag auch eigentlich nicht
das Problem der Leute, es war mehr im musikalischen Bereich zu finden. Insofern fand ich
es eigentlich sehr schade. Es ist nicht meine Intention gewesen, die Gruppe in eine andere
Richtung zu bringen.
Stephan: Also wenn man das nicht
weiß, kommt einem das doch so vor.
Milla: Das kann ich auch gut
nachvollziehen, das würde ich genauso sehen.
Stephan: Auf der Platte ist
unter anderem das Stück "Ich liebe dich". Von dem Stück hat Eroc ja hinterher
eine eigene Version mit dem Titel "Ich hasse dich" gemacht. Wie fandest Du denn
das?
Milla: Das zeigt, daß Eroc ja
doch noch immer an GROBSCHNITT irgendwie interessiert war und das doch noch verfolgt hat.
Ich habe zu der Zeit relativ wenig Kontakt zu Eroc gehabt, aber er hat sich anscheinend
die Platten doch angehört. Durch seine Version taucht das typische "Wir wollen
leben"-"Wir wollen sterben"-Syndrom wieder auf. Er hat sich zumindest noch
soweit mit GROBSCHNITT identifiziert, daß er das Lied so nicht stehen lassen konnte. Ich
kann mir vorstellen, daß Eroc dieses Stück "Ich liebe dich" irgendwie als
unheimlich peinlich empfunden haben muß. Das ist wahrscheinlich das nackteste und
peinlichste Stück, was GROBSCHNITT je gemacht hat. Das haben mir auch viele andere
hinterher gesagt. Ich finde, es gehört auf eine Art auch wahnsinnig viel Mut dazu, so ein
Stück rauszubringen. Ich glaub dem Eroc muß beim Hören ein kalter Schauer den Rücken
runtergelaufen sein. Das ist ja ein "Weihnachtslied" schlechthin, wie ich diesen
Ausdruck vorhin gebraucht hab. Und das konnte er, glaub ich, nicht stehen lassen, immerhin
stand ja der Name GROBSCHNITT noch auf der Platte (lacht). Ich glaube, da mußte er
unbedingt sein Gegenstück zu setzen. Das sehe ich jedenfalls so. Er ist sehr humorvoll.
Ich habe mich mit Eroc immer wunderbar verstanden und das ist auch heute noch so. Wir sind
beide Skorpione, wir sind uns sehr ähnlich. Ich habe seine Art von Humor auch immer gut
verstehen können. Skorpione können ja auch sehr bissig sein. Diese bissige Art von Eroc
kann ich eben sehr gut nachvollziehen. Ich habe selber mit diesem Stück "Ich liebe
dich"... am Anfang hätte ich mich nicht getraut, das so zu machen. Das war dann mehr
auch die Idee, wo alle sagten, das machen wir jetzt einfach so, einfach ein Klavier und
einen halb gesprochenen Gesang. Ich fand das im nachhinein wieder sehr mutig, das so zu
machen, gerade auch für eine Band wie GROBSCHNITT. Bei vielen Dingen ist es so, wenn du
im Nachhinein darüber nachdenkst, siehst du vieles auch anders. Du mußt ja sehen, es
sind bei den Platten auch manchmal Momentanentscheidungen. Du sitzt da und fragst dich,
mache ich es jetzt oder mache ich es nicht, ist das jetzt gut oder ist das nicht gut, ist
es zuviel oder ist es nicht zuviel, sollte man lieber die Finger davon lassen oder nicht.
Dann sagst du irgendwann, okay jetzt machen wir es. Das ist bei "Razzia" bei
manchen Sachen so gewesen. Zehn Jahre später oder auch wieviel Jahre immer, hörst du dir
das an und wirst damit konfrontiert. Es kann durchaus sein, daß man sagt naja, ist
vielleicht doch ein bißchen peinlich (lacht), hätte man doch vielleicht die Finger
weglassen sollen. Aber in dem Augenblick, je nachdem wie du gerade drauf bist, ob du gut
oder schlecht geschlafen hast, ob du gerade Krach mit deiner Frau hattest, wie auch immer,
das spielt dann ja alles da rein. Und zehn Jahre später bist du wo ganz anders und guckst
dir das dann im Nachhinein an. Es sind viele Sachen, wenn ich mir GROBSCHNITT angucke, die
aus dem Augenblick entstanden sind, wo ich mich heute nicht unbedingt 100%ig mit
identifizieren kann, oder wo ich sagen würde, das hätte ich lieber anders gemacht oder
das würde ich heute anders machen, klar. Ich kann mich noch erinnern, daß ich schon
Zweifel hatte, gerade bei so einem Stück wie "Ich liebe dich". Ist das richtig,
ist das vielleicht eine Persiflage? Wenn man sich den Text genau anguckt, ist das ja ein
sehr zweifelndes Stück. Es ist ja gar nicht so himmelhochjauchzend, wie es eben so ein
Schlager mit solch einem Titel wäre. Der Text ist ja auch sehr nachdenklich und am Ende
auch sehr verzweifelt. Fulio weiß gar nicht, was er in dieser Situation mit dieser Frau
anfangen soll, das ist natürlich nicht immer so ganz rübergekommen. Es ist auch sehr
nackt und sehr verzweifelnd dargestellt. Ich mußte das dann auch immer auf der Bühne
live singen (lacht), das war schon sehr heftig. Neulich habe ich wieder die Aufzeichnung
von Radio Bremen, die Du ja schon erwähntest, gesehen. Da dachte ich auch, um Gottes
Willen, hoffentlich sieht das keiner (lacht). Als Eroc das am Anfang gemacht hat, dachte
ich, naja, typisch (lacht), muß er ja machen. Ich denke mittlerweile, daß man so einige
Sachen von "Kinder und Narren" selber nicht so bierernst nehmen sollte.
Stephan: Einige Musiker sagen ja
immer, daß ihre eigenen Frauen bzw. Partner ihre besten Kritiker seien. War das bei Euch
ähnlich, oder habt Ihr selbst entschieden, was gut und was schlecht war? Oder habt Ihr
jemand anderes geholt, der sich die Stücke mal angehört und Euch seine Meinung dazu
gesagt hat?
Milla: Es ist natürlich schon
schwer mit diesen sechs Leuten, die wir meistens waren, Kompromisse zu finden, die alle
gut fanden. Wenn einer da etwas überhaupt nicht gut fand, wären wir ja gar nicht voran
gekommen. Ich weiß, daß einige ihre Frauen schon mit einbezogen haben. Ich hab meiner
Frau das auch immer mal vorgespielt, aber die hat da relativ wenig zu gesagt. Ich weiß
zumindest, daß Lupo seiner Frau oft Sachen vorspielte. Wie weit die Frauen ihre Männer
nun beeinflußt haben, weiß ich gar nicht. Die Frauen waren teilweise auch mit auf
Tournee, die haben schon eine ganze Menge dazu gesagt und eine Meinung gehabt.
Stephan: 1988, also ein Jahr
bevor sich die Band aufgelöst hat, hast Du ja Grobschnitt endgültig verlassen. War zu
diesem Zeitpunkt das Ende der Band schon abzusehen?
Milla: Ja, zu dem Zeitpunkt war
das Ende eigentlich schon beschlossene Sache. Es ist nicht so gewesen, daß ich jetzt
irgendwie Schwierigkeiten mit Band hatte oder ich ausgestiegen wäre, sondern wir haben
uns alle zusammengesetzt und haben uns gefragt: "Was machen wir? Wie gehts
weiter ?" Wir waren zum damaligen Zeitpunkt mit vielen Situationen nicht sehr
zufrieden, vor allen Dingen nicht mit der Plattenindustrie. Wir hatten das Gefühl, daß
wir viele Freiheiten, die wir immer gehabt hatten, verloren hatten, daß uns die
Plattenindustrie immer mehr reingeredet hat, wie wir die Stücke zu machen hatten. Die
Entwicklung wurde immer kommerzieller. Es war nicht mehr wie früher: "GROBSCHNITT
macht eure LPs, ihr könnt eure Cover selber gestalten, die Stücke, macht was ihr
wollt. Wird toll, astrein." Sondern es wurde gesagt: "Die müssen einen Hit
haben. Das muß im Radio gespielt werden etc." Und sie gaben auch immer weniger Geld
aus. Wir hatten das Gefühl, daß es nicht mehr das war, was wir eigentlich wollten. Und
dann fragten wir uns halt: "Was machen wir jetzt weiter? Wie machen wir weiter?"
Und einige meinten, daß es so eigentlich nicht weitergeht. Dann haben wir gedacht:
"Gut, wir sind im Moment noch unheimlich erfolgreich und angesagt. Uns gehts
gut. Wir sind ne Band, wo die Leute noch nicht sagen: "Um Gottes Willen die alten
Säcke spielen ja immer noch? Was wollen die eigentlich, die sind doch schon auf einem
absteigenden Ast. Die verkaufen keine Platten mehr und es kommen keine Leute mehr zu den
Konzerten." Wir sind eigentlich noch gut da. Wahrscheinlich ist jetzt, so im Sinne
wenns am schönsten ist, dann sollte man aufhören ein guter Zeitpunkt
aufzuhören." Und der Meinung waren eigentlich mehr oder weniger alle. Ich weiß
noch, daß Lupo auch sehr dafür war. Ob Toni noch weitergemacht hätte, weiß ich nicht,
aber ich glaube das war schon die Stimmung in der Band. Wir haben oft zusammengesessen und
wußten nicht genau, was wir in den nächsten Jahren machen sollten. Es war ein
gemeinsamer Entschluß der Band. Ich wollte damals gern ins Ausland gehen. Ich hatte eine
Ausbildung als Waldorf-Lehrer angefangen, die dauerte ein Jahr. Zu der Zeit habe ich aber
noch bei GROBSCHNITT gespielt. Ich habe dann tagsüber diese Lehrausbildung gemacht und
abends fanden dann noch ein Paar Auftritte statt. Ich wollte dann gern zu einer Schule
nach Portugal gehen und auch mit meiner Familie dorthin ziehen. Das war auch ein Aspekt,
weswegen ich ganz gerne aufhören wollte. Ein weiterer Aspekt war, das ein Sohn 6 / 7
Jahre alt und gerade in die Schule gekommen war und der andere 3 / 4 Jahre wurde und ich
das Gefühl hatte, daß dieses Musikerleben nicht gerade familienfreundlich war. Durch die
Tourneen war ich dauernd weg, sah meine Kinder zu selten und das gefiel mir überhaupt
nicht. Aus diesen Gründen wollte ich mit meiner Familie nach Portugal. GROBSCHNITT wollte
aber noch eine Abschiedstournee machen, um sich von den Fans zu verabschieden, bei der ich
normalerweise mitgemacht hätte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Möglichkeit in
Portugal an einer Waldorf-Schule anzufangen und dann gefragt, ob sie die Tournee auch ohne
mich machen könnten. Und sie sagten: "Ja gut, machen wir halt." Sugar
Lindemann, mit dem ich früher jahrelang Musik gemacht hatte, er war damals der
GREEN-Keyboarder, den haben sie dann gefragt, ob er die Tournee mitmachen würde und er
ist dann eingestiegen. Für mich kam der Harald Eller, den ich gar nicht kannte, in die
Band, da war ich schon fast weg, da ist der gefragt worden, deswegen habe ich den nur sehr
kurz kennengelernt. Wir haben uns mal getroffen und ich habe ihm die ganzen Bässe für
die Tournee gezeigt, damit das schneller für ihn ging. Dann sind die eben ohne mich auf
Tournee gegangen. Das fand ich eigentlich sehr schade, da die Band eine sehr
freundschaftliche Sache war, aber ich mußte halt schon weg. Ich durfte dann aber
netterweise zu dem allerletzten Auftritt in Hagen von Portugal aus rüberfliegen Hab mir
also ein paar Tage frei genommen und bin rübergeflogen. Ich bin dann noch mal bei
"Mary Green" und "Solar Music", bei den Teilen, die ich eben früher
gesungen hab, mit auf die Bühne gegangen. Das war eine schöne Sache. Danach haben wir
dann noch richtig gefeiert.
Stephan: Vor einem Jahr hat es
in Hagen-Hohenlimburg ein Konzert gegeben, bei dem Wildschwein mit seinem Sohn und unter
anderem mit Sugar Lindemann zwei Stücke von GROBSCHNITT gespielt hat. Du warst ja auch
mit auf der Bühne. Kannst Du da ein wenig zu erzählen?
Milla: Dieses Konzert haben wir
in Hohenlimburg in der Berlet-Halle gemacht. Das ist zur Zeit wohl die größte
Konzerthalle in Hagen. Ich spiele .... jetzt kann ich eigentlich meine Geschichte
weitererzählen. Als ich aus Portugal wieder zurückgekommen bin und es GROBSCHNITT nicht
mehr gab, hab ich eine Band mit dem Namen MARRAKESH EXPRESS gemacht, mit der ich heute
noch zusammenspiele. Das sind viele alte Freunde, viele alte Hagener Musiker, auch Sugar
Lindemann spielt dort mit. Das ist mehr oder weniger so eine Art Coverband. Wir spielen
CROSBY, STILLS, NASH-Sachen. Ich hab vorhin schon mal gesagt, daß ich auch sehr großen
Wert auf Gesang lege, daher ist das eine gesangsorientierte Gruppe. Wir sind so im Moment
eine der angesagten lokalen Bands in Hagen. Wir spielen auch relativ viel. Das ist so
meine Hobbyband. Wir haben voriges Jahr unser 10jähriges Bestehen in der Berlet-Halle
gefeiert. Zehn Jahre deswegen, weil ich schon 1988 mit der Band angefangen habe. Wir haben
in der Berlet-Halle gespielt und haben dann überlegt ob wir uns nicht eine Vorband nehmen
sollten. Ich hatte gehört, daß Wildschwein mit seinem Sohn auch eine Band gemacht hat.
Stephan: Welche Art von Musik
haben die gespielt?
Milla: Mal überlegen wie die
heißen. Wie heißen die noch? SCHÖNES BLEIBT heißt die Band. Die machen auch
Coversachen, so mit akustischen Gitarren. Wildschwein war früher schon immer ein
EAGLES-Fan und daher spielen sie EAGLES- und auch BEATLES-Stücke und all solche Sachen.
Ich fand die Idee toll, daß sie bei uns im Vorprogramm spielen. Das haben wir dann
natürlich auch kommerziell ein bißchen ausgeschlachtet. Es stand dann in der Zeitung:
"Zum ersten Mal Wildschwein von GROBSCHNITT live auf der Bühne", während ich
ja die ganzen Jahre immer gespielt hatte, bin immer hier aufgetreten, das war also
insofern nichts Besonderes. Wir überlegten uns dann halt, gut, wenn wir alle schon
zusammen sind, Sugar Lindemann spielt also bei MARRAKESH EXPRESS, ich auch, Wildschwein
eben da, dann machen wir halt ein - zwei GROBSCHNITT-Stücke. Ich habe dann Wildschwein
gefragt, ob er Lust dazu hätte und er fand das total gut. Dann haben wir Kurt Mitzkatis
Bescheid gesagt, der hat das dann sofort verbreitet. Zu diesem Konzert waren wirklich
GROBSCHNITT-Fans aus ganz Deutschland da. Wir haben dann überlegt, was wir ohne großen
Aufwand spielen könnten. Und dann haben wir uns getroffen, haben Toni natürlich gefragt,
ob er mitmachen wollte. Toni hat sofort zugesagt. "Raintime" und
"Anywhere" boten sich an, weil das ja keine eigene Band sein sollte, sondern das
war irgendwie so dazwischen gesetzt,. Bei "Anywhere" habe ich nicht mitgemacht.
Toni, Wildschwein und Sugar Lindemann haben mit einem anderen Bassisten, aus dieser Band
von Wildschwein, gespielt. Ich hab dann bei "Raintime" mitgespielt, also quasi
in der Originalbesetzung. Dann waren noch Eroc, Mist und auch der Baer da. Die sind auf
die Bühne gekommen und spielten bei "Raintime" Percussion. Das war eine ganz
lustige Sache für die GROBSCHNITT-Fans. Kurt Mitzkatis hatte das dann arrangiert, daß
die ganzen Leute dann alle kamen. Er hat alle angerufen und so eine richtige Band daraus
gemacht, das war wirklich schön. Von dieser Veranstaltung gibt es auch ein Video
(Anmerkung von mir: siehe unter der Rubrik Video "TV-Video-Collection"). Wir
spielen weiter mit MARRAKESH EXPRESS. Ich weiß nicht, wie oft Wildschwein mit seiner Band
auftritt, ich glaube aber eher weniger. Aber es ist ja wirklich leider so, daß von allen
GROBSCHNITT-Musikern außer Hunter und dem Baer, der macht auch noch irgendwo live Musik,
also alles die Bassisten und natürlich Mist nur noch ich Musik machen. Was Eroc,
Wildschein und Lupo betrifft, die machen leider keine Livemusik mehr.
Stephan: Eroc ist in diesem und
im letzten Jahr auf dem EuroSonicFestival live aufgetreten.
Milla: Ja, genau. Sie haben
zumindest jahrelang keine Livemusik mehr in ihrer Funktion, wie Eroc zum Beispiel als
Schlagzeuger, gespielt. Eroc macht ja mehr elektronische Sachen. Ich habe immer sehr
bedauert, daß Eroc damals nicht mehr live Schlagzeug gespielt hat, da er ein sehr guter
Schlagzeuger war. Ja und einige haben sich leider ganz zur Ruhe gesetzt. Aber das Konzert
in der Belet-Halle war jedenfalls ein ganz schönes Event.
Stephan: Du hast vorhin gesagt,
daß Ihr mit MARRAKESH EXPRESS Songs von Neil Young bzw. von CROSBY, STILLS, NASH &
YOUNG covert. Heißt das, daß Ihr keine eigenen Stücke schreibt und daß es auch keine
Produktionen von Euch gibt?
Milla: Wir haben keine eigenen
Stücke, wir interpretieren die Sachen nur. Wenn Du mal den Kurt fragst, der uns schon
öfter gesehen hat, dann wird er Dir bestätigen, daß es schon sehr eigenständige Musik
ist. Wir versuchen nicht so zu sein wie das Original, wir nehmen die Songs nur aus dem
Original und interpretieren sie. Die Band ist schon sehr gut, muß ich sagen. Und ich sage
das nicht, weil ich dort mitspiele, sondern weil wir live unheimlich gut ankommen. Mit der
Band spiele ich schon unheimlich gerne. Das ist eine Amateurband (lacht) und ich habe
einen sehr zeitintensiven Beruf und die anderen zum Teil auch, wobei da auch ein paar
Musikprofis dabei sind. Wenn du eigene Sachen machen willst, machst du die, weil du irgend
etwas damit erreichen willst und das wollen wir nicht. Du mußt auch sehr viel Zeit haben,
und die Zeit haben wir einfach nicht. Dann ist es einfacher, wenn du Musik machen willst,
andere zu covern. Ich würde gerne eigene Sachen machen, aber das geht vom Zeitaufwand
nicht. Wir haben damals an der Platte "Illegal" ein ganzes Jahr gearbeitet, das
war hauptsächlich Kompositionszeit. Wir haben monatelang jeden Tag gearbeitet. Wir haben
jeden Tag sechs bis sieben Stunden da gesessen und Musik gemacht wie die Verrückten, um
auf das Ergebnis zu kommen. Es gibt wahrscheinlich Leute, die schneller sind, keine Frage,
aber für mich bedeutet eigene Stücke zu machen, immer ein gewisser Zeitaufwand. Das mal
so eben nebenbei, schaffe ich nicht.
Stephan: Ich habe in einem
Interview gelesen, daß Du zum damaligen Zeitpunkt, ich glaube, das war als Du bei
GROBSCHNITT angefangen hast, daß Du Dir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen konntest, bis
zu Deinem 60. Lebensjahr immer das gleiche zu machen. Du wolltest damals Deinen gelernten
Beruf Lehrer nicht ergreifen dieses in den Beamtenstand einzutreten -. Jetzt übst
Du doch den Beruf des Lehrers aus. Wie hast Du den Umstieg vom Musiker zum
"normalen" Beruf empfunden, wie ist er Dir gelungen? Das muß doch schwierig
gewesen sein.
Milla: Es ging eigentlich, weil
ich ja das Lehrersein mit der Geschichte in Portugal verknüpft habe. Ich fand das nicht
so schwer. Für mich war es immer unheimlich wichtig, einem gewissen Ideal zu folgen. Das
war auch ein Grund, warum ich Musik gemacht habe und warum ich bei GROBSCHNITT gespielt
habe. GROBSCHNITT ist halt eine Band gewesen, die nicht sehr kommerziell war. Die
Mitglieder sind darüber auch leider nie so wahnsinnig reich geworden, also im Vergleich
zu so Leuten wie Westernhagen oder Grönemeyer, weil es auch nie so unser Ding war. Wir
haben immer versucht, so gewisse Ideale aufrecht zu erhalten. Es gab Demokratie in der
Band, jeder bestimmte mit. Wir haben auch versucht, ehrliche Inhalte zu verfolgen. Ich
glaube, das haben auch viele Leute bemerkt, daß wir nicht eine Band waren, die versuchte,
nur eine schnelle Mark zu machen, sondern daß wir uns Mühe gegeben haben. Alleine unsere
Showproduktionen waren schon alle wahnsinnig. Alle die finanziell, materiell kalkuliert
haben, sagten: "Ihr seid bescheuert". Wir haben einen so hohen Aufwand, so
teuere Produktionen zum damaligen Zeitpunkt gehabt heute wird bei Konzerten ja viel
mehr investiert, allerdings ist der Eintritt auch höher -, wir haben soviel Geld in die
Produktionen gesteckt, daß nach den Konzerten kaum noch was für uns übrig blieb. Jeder
von uns hätte damals mehr Geld verdienen können, wenn wir so schlau gewesen wären, und
hätten viel billigere Produktionen, also Shows, gemacht. Weniger Roadies, weniger
LKWs, weniger Licht, was weiß ich. Das wollten wir aber nicht, das war uns egal.
Wir wollten unsere Ideen und Ideale, wir wollten es so machen. Das war mir auch sehr
wichtig. Das war auch mit ein Hauptgrund, warum ich aufgehört habe, denn das hatte sich
in den 80ern verändert. Mein Lehrersein konnte insofern meinem Ideal dann wieder
entsprechen, weil ich Waldorf-Lehrer geworden bin. Das ist eben eine gewisse Art Lehrer zu
sein, eine gewisse Art von Schule, die mich völlig begeistert, die auch meinen Idealen
entspricht. Ich habe damit angefangen, als meine Kinder zur Schule gegangen sind, habe
meine beiden Kinder auch immer unterrichtet. Ich war Klassenlehrer meines jüngsten
Sohnes, der inzwischen auch Musik in einer Band macht, in der ich auch mitspiele.
Stephan: Ein zweites Projekt?
Milla: Ja, ein zweites Projekt,
in dem ich spiele, wenn ich Zeit habe. Dort spielen meine Frau und die Leute mit, die hier
wohnen, also praktisch eine WG-Band. Auch die Kinder sind dabei. Ich war eben jahrelang
der Lehrer meines Sohnes und habe dadurch eine starke Verbindung zu meinem Beruf gehabt
und bin so wahrscheinlich kein normaler Lehrer gewesen. Wenn Du die Interviews liest, die
ich zur "Kinder und Narren"-Zeit gegeben habe, da sage ich nämlich schon, daß
die Philosophie hinter "Kinder und Narren" war, wenn man was - sag ich mal - an
der Gesellschaft positiv verändern will, muß man in die Kinder investieren. Das ist
letztendlich die Zukunft. Wenn nicht alles kaputtgehen soll, alles zerstört werden soll,
muß man sehen, daß man die nächste Generation so führt, daß die Zukunft besser wird.
Es sieht im Moment leider nicht so aus,daß das problemlos gelingt, das liegt an vielen
äußeren Dingen, daß die Kinder eher von vielen Kräften in eine negative Richtung
hineingedrängt werden. Dagegen heißt es auch Gegenkräfte zu entwickeln, also so eine
Richtung zu schaffen, wo man meint, daß man was Positives bewirken kann. Das ist das, was
ich zum Beispiel mit der Waldorf-Schule verbinde. Insofern ist das für mich kein Bruch,
sondern ein Weg, der einfach weitergeführt wird. Wobei der andere Aspekt, daß ich nicht
bis zum 60. Lebensjahr Lehrer sein wollte, der ist, daß ich ja noch gar nicht so lange
Lehrer bin und ich nicht weiß, ob ich das bis zum 60. mache. Es sind gerade mal zehn
Jahre vergangen.
Stephan: Und an was für einer
Schule unterrichtest Du jetzt?
Milla: An der Waldorf-Schule in
Remscheid, das ist hier gleich in der Nähe. Es kann aber durchaus sein, daß ich
irgendwann wieder etwas anderes mache. Ich kann mir auch vorstellen, wenn es dann ein
GROBSCHNITT-Revival geben würde, wieder professionell Musik zu machen.
Stephan: Wissen denn Deine
Schüler, was Du für eine musikalische Vergangenheit hast?
Milla: Ja klar.
Stephan: Und wie reagieren die
darauf?
Milla: Ganz gut. Ich spiele ja
auch heute noch in Bands wo die uns zum Teil sehen. Und wir haben an der Schule auch eine
Lehrerband und ich mach auch unheimlich viel Musik mit denen. Es sind auch gerade viele
Eltern, weniger die Schüler, die dann so meine Generation oder etwas jünger sind. Da
sind viele aus dieser Gegend, Remscheid da gibt es ja sogar einen Song von uns
die auf GROBSCHNITT-Konzerten waren. Und auch viele Kollegen haben uns damals
gesehen. Man glaubt gar nicht, wieviel Leute hier in dieser Gegend schon GROBSCHNITT
gesehen oder Platten haben und mich von damals noch kennen. Insofern ist das schon
bekannt, daß ich bei GROBSCHNITT war.