Besprechung der LP "Illegal" aus "Musikertreff!" von 1981

 

Das Projekt Illegal

Die neue GROBSCHNITT-LP ist diesmal mit besonderer Spannung erwartet worden; und wohl nicht nur von den Fans. Gerüchte, um einen Stilwechsel, das neue gruppeneigene Studio, das eine 100%ige "selfmade"-Produkrion möglich machte, die lange Wartezeit seit "Merry-Go-Round" und nicht zuletzt der Einstieg von Ex-GREEN-Bassist Milla Kapolke weckten auch Interesse bei den Leuten, die nicht unbedingt auf GROBSCHNITT stehen. Hat man die Plattenhülle dann zum ersten mal in der Hand, ist man auch schon leicht überrascht. Das soll ein GROBSCHNITT-Cover sein? Es könnte eher in den New Wave/Punk-Bereich oder zur Rocky Horror Picture Show passen als zu einer Gruppe, die mal "Rockpommels Land" gemacht hat. Und auch der Titel "Illegal" erscheint außergewöhnlich aktuell und provozierend.

GROBSCHNITT haben hier anscheinend bewußt mit einigen Traditionen gebrochen und sind neue Wege gegangen. Acht Titel haben die "neuen" GROBSCHNITT aufgenommen – auch das ist ungewöhnlich – aber spätestens beim ersten Ton der Platte kann der Fan aufatmen; hier spielt weder eine New Wave-, noch eine Reggae-Kapelle, sondern – sofort rauszuhören – GROBSCHNITT.

Für denjenigen, der die Gruppe von ihren alten LP’s her kennt, bietet die LP dennoch musikalisch eine Menge Überraschungen und Ungewöhnliches. Und ungewöhnlich ist auch die Entstehung dieser Platte: fast neun Monate lang hat die Gruppe an der LP gearbeitet und das gesamte Projekt gemeinsam und ohne fremde Hilfe durchgezogen, angefangen beim Komponieren und Arrangieren bis zum Aufnehmen und Abmischen. Dieses wohl in Deutschland einmalige Vorgehen gestattet natürlich eine andere Arbeitsweise als sie normalerweise in Plattenstudios üblich ist. Keine Produzenten und keine vierstellige Tagespauschale im Rücken, kein Zeitdruck und kein Arbeitsstreß; die Band hat sich Zeit gelassen und versucht, relaxt zu arbeiten.

Diese relaxte Arbeitsweise spiegelt sich in allen Stücken der LP wieder, die Aufnahmen klingen locker und lebendig, man spürt, daß die Musiker Spaß beim Spielen hatten und nicht nur sehnlichst darauf warten, die Aufnahmen endlich im Kasten zu haben, wie’s ja häufig der Fall ist. Gerade bei GROBSCHNITT hat ja auf den letzten Studio-LP’s – vor allem bei "Merry-Go-Round" – die Perfektion im Vordergrund gestanden, was immer die Gefahr der Sterilität beinhaltet.

Auf "Illegal" rangiert Perfektion hinter Lebendigkeit und Gefühl, und die Gruppe läßt für mich eigentlich zum erstenmal auch auf einer Studio-LP etwas von ihrer Live-Atmosphäre rüberkommen, durch die sie ja bekannt und beliebt geworden ist.

Zudem hat die Gruppe sich wohl vorgenommen, auf dieser Platte ihr gesamtes musikalisches Spektrum vorzuführen. Über mangelnde Abwechslung kann man sich jedenfalls nicht beklagen. Englische und deutsche Texte, harter Rock, verträumte Streicher, akustische Stücke, technische Soundspielereien – GROBSCHNITT führt den Hörer durch viele Stilrichtungen, und dennoch wirkt die Atmosphäre einheitlich.

Der Opener auf Seite 1 "The Sniffer" erinnert von allen Stücken am meisten an die "alten" GROBSCHNITT; doch passiert auch hier schon sehr viel: akustische Gitarren, verschiedene Keyboardsounds, alle drei Sänger (Wildschwein, Toni und Milla) stellen sich vor, eingängige Melodien und viel Abwechslung.

Das nächste Stück "Space-Rider" wirkt allerdings schon etwas ungewöhnlicher für GROBSCHNITT: harte Rockgitarren, treibender Rhythmus, Motorengeräusche und – Toni Moff Mollo zum erstenmal als Leadsänger. Je öfter ich das Stück höre, desto mehr wundert es mich, daß so ein Mann, der inzwischen schon seit 10 Jahren dabei ist, erst jetzt von seiner eigenen Gruppe als Sänger entdeckt worden ist. Seine Powerröhre ist eine positive Überraschung in jeder Hinsicht und scheint die ideale Ergänzung zu Wildschweins Gesang. Diese Abwechslung beim Gesang bringt viel Farbe und Erfrischendes, GROBSCHNITT sollte diesen Weg unbedingt beibehalten.

Auch bei "Merry Green" ist Toni noch einmal als Leadsänger zu hören, obwohl das Stück hauptsächlich vom Chorgesang getragen wird. "Merry Green" ist mit 8.20 Minuten das längste Stück und auch mein persönlicher Favorit. Eingängige Gesangsmelodien wechseln sich ab mit langen Instrumentalpassagen, in denen weitgespannte Melodiebögen bis zu einem "Losgeh-Rhythmus" geführt werden, dem ich mich nicht entziehen kann. Der Hintern wackelt schon gewaltig. Lupos Gitarrenarbeit gefällt mir hier besonders, er scheint überhaupt viel an sich gearbeitet zu haben.

Seite 1 schließt ab mit "Silent Movie", der nächsten Single der Gruppe, ein langsames verträumtes Instrumentalstück mit einer sehr schönen ruhigen Melodie. Wie schon Neumann im WDR sagte: "Ich wußte gar nicht, daß GROBSCHNITT so etwas Melodiöses machen kann."

Seite 2 beginnt wieder mit einem Instrumentalstück: "Joker", die erste Singleauskopplung aus der Illegal-LP und ein "special" für Liebhaber von Keyboardsounds. Hier zeigt Mist, was er so alles an Klangfarben drauf hat und beweist mit einem wunderschönen Synthi.Solo am Schluß der Aufnahme, daß er auch ein hervorragender Spieler ist.

Als nächstes: "Illegal", das Titelstück und wohl ungewöhnlichste auf der ganzen Platte. Fremdartige Geräusche und Soundcollagen, deutscher Text, Verhör eines Kindes (gesprochen von Nuki Nuk, Wildschweins Sohn) durch einen Richter, harter, treibender Rhythmus und dann die ironische Frage: "Ist das erlaubt, was ist erlaubt, wer ist erlaubt?"

In provozierender Weise werden hier ungerechtes und unsinniges Handeln des Gesetzes angeprangert, nicht nur textlich, sondern auch durch einen instrumentalen Mittelteil, bei dem einem durch unheimliche Geräuschkulissen, Hundegebell und Polizeisirenen Angst und Bange werden kann. Man merkt hier deutlich Erocs Handschrift.

Die Problematik des "Illegalen" scheint übrigens durch sämtliche Texte der Platte zu ziehen, wie z. B. bei "Merry Green" die eindeutige Forderung nach Legalisierung von Marihuana herauszuhören ist. Wobei allerdings nicht die Aufforderung zum Drogenkonsum oder dessen Verharmlosung das Thema ist, sondern über den oft harmlosen "Hascher" geschrieben wird, der unfreiwillig, aber zwangsläufig in eine kriminelle Ecke gedrängt und durch die Illegalität von leichten Drogen zu härteren Sachen verführt wird, weil der Dealer ihm beides gleichzeitig nebeneinander anbietet.

Aber auch der "Sniffer", der "Gesinnungsschnüffler", der auf Demos hinter Vorhängen versteckt fotografiert, oder das Atomgegnerstück "Raintime", wo von einer Katastrophe nach einem radioaktiven Regen die Rede ist, stellen immer wieder die Frage: "Ist das erlaubt, was ist erlaubt?" Zerstörerischer Irrsinn ist legal, jeglicher Widerstand illegal.

Aber noch einmal zurück zur Musik, zwei Stücke müssen noch genannt werden: "Simple Dimple", der wohl eingängigste Song auf der LP, mit Mitsingrefrain und Hitchancen, und last not least das gerade erwähnte "Raintime" ein rein akustischer Abschluß der LP, irgendwie an Westcoastmusik erinnernd, dreistimmiger Gesang und ein sehr relaxtes Feeling.

Obwohl die LP mit 45 Minuten doch relativ lang ist, kommt sie mir immer zu kurz vor, was wohl an der Verschiedenartigkeit der Stücke liegt. Alles in allem hat mich dieses breite Spektrum, die Vielseitigkeit der Gruppe am meisten beeindruckt. Langeweile kommt nie auf, und gerade Abwechslungsreichtum fehlt ja leider bei vielen neuen Produktionen. Die Songs sind nicht mehr so lang wie früher, sie sind eingängiger und melodiöser geworden, ohne an Niveau zu verlieren. Die Gruppe hat sich gesanglich und instrumental steigern können. Milla hat sich hervorragend eingearbeitet, spielt einen sehr einfühlsamen Baß, der dennoch öfter auch mal im Vordergrund steht und gibt der Gruppe mehr Drive als früher.

GROBSCHNITT haben mit "Illegal" ihre bisher für mich beste LP vorgelegt, und die Gruppe wird bestimmt viele neue Freunde bekommen. Wer bis jetzt der Meinung war, Hagnes "Aushängeschild" würde langsam zu alt und ausgelaugt und hätte nicht mehr viel drauf, dem kann ich nur raten, sich "Illegal" mal in aller Ruhe reinzutun.

Udo Wehr

Pressetexte-Menue