Artikel aus dem Musikertreff Ausgabe Februar 1984

 

"Kinder und Narren" heißt die neue GROBSCHNITT-LP, die in Kürze auf dem Markt sein wird. Lupo bestritt im Gespräch mit uns zwar heftigst, daß diesem Titel irgendeine Selbstreflexion der Gruppe über die Stellung des Rockmusikers in der Gesellschaft zu Grunde liegt, was nach 14 Jahren im "Business" ja immerhin möglich und an der Zeit gewesen wäre, aber dafür erfuhren wir im Gespräch mit ihm und Milla noch einiges andere über die 11. LP dieser deutschen Rock-Institution.

GROBSCHNITT hat eigentlich nie sein Fähnlein in den Wind gehängt. Sie haben vielmehr immer nach gewissen großen internationalen Vorbildern geschielt und versucht, wie diese eine eigene, zeitlose Sache durchzuziehen. Da Musiker jedoch keine Eremiten sind, blieb es auch nicht aus, daß bestimmte aktuelle Trends bei Grobschnitt wie bei gewissen internationalen Größen bearbeitet wurden.

Milla: "Wir stehen schließlich nicht wie’n Fels in der Brandung und halten uns die Ohren zu!"

Deshalb wird man ihnen auch bei diesem Album, wie bei ihren letzten, wieder nachsagen, sie lägen im Trend, weil es sich um ein Konzeptalbum handelt, das auf einer märchenhaften Fantasy-Geschichte mit leichtem Tiefgang basiert. Aber GROBSCHNITT konnte schon immer einen starken roten Faden in seinen Alben vorweisen und hat schließlich schon phantastische Geschichten erzählt, als "Momo" noch in die Hosen kackte und Peter Maffay im Klatschmarsch über die Bühne der ZDF-Hitparade fegte. Aber es ist schon ein Kreuz, wie Lupo bemerkt: "Wir sind einfach zu langsam, wenn wir unser Konzept planen, ist der Trend noch nicht da, wenn wir das Album fertig haben, redet jeder davon!"

Die Geschichte, um die es sich dreht, beschreibt Milla, der Autor, als Ermunterung, aus sich selbst heraus etwas zu verändern. Ihr Ausgangspunkt ist eine Phantasiewelt, die unsere jetzige Umweltsituation noch etwas extremer darstellt, es gibt z. B. kaum noch Bäume usw. Und in solch einer Situation, meint Milla, sei es eben wichtig, daß man versucht, etwas zu verändern. Und das müsse schon im Kleinen, bei einem selbst, ansetzen; denn politische Veränderungen seien nur wirklich wertvoll, wenn die Leute auch an sich selbst arbeiten.

Nachdem "Razzia" sich doch als recht politisch präsentierte, findet somit bei GROBSCHNITT ein Rückzug in persönlichere Gefilde statt, das Individuum steht im Vordergrund, Grundsätzliches ist angesagt. Ob beim Schreiben dieser Geschichte Bhagwan Pate gestanden hat, fragen wir Milla. "Nein, auf keinen Fall", antwortet er, "denn sonst müßte ja am Schluß der große Meister auftauchen und alles gut machen!"

Die LP, auf der zum ersten Mal auch die beiden Neulinge, Jürgen Kramer (Keyboard) und Peter Jureit (Schlagzeug) im Studio mitgewirkt haben, wurde von Sigi Bemm im Dortmunder Woodhouse Studio aufgenommen. "Nach den Umbesetzungen in der Gruppe", erzählt Lupo, "mußten wir natürlich auch unser Konzept ändern. Wir wollten uns zum ersten Mal einen Produzenten nehmen". Monatelang suchte die Gruppe, aber nichts schien ihr geeignet. Da einer der entscheidenden Faktoren eine räumliche Nähe zu Hagen war, hatten sie zunächst vor, mit Tato Gomez, einem Kölner Produzenten (Ex-Santiago) ins Studio nach Langendreer zu gehen. Dann entschieden sie sich aber doch für Sigi Bemm und produzierten selbst, allerdings mit Sigis Hilfe, "der sich einfügte, wie ein siebter Musiker", wie Milla bemerkt. Die Arbeit im Studio stellte sich der Gruppe, die vorher immer im Sprockhöveler "Übungsraum" monatelang an ihren Aufnahmen gebastelt hatte, als völlig neue Erfahrung dar, die nicht so abgeschottet war wie bei den Alben vorher. All das half der Gruppe, "eine neue Identität zu finden" und den Neuen den Einstieg in die GROBSCHNITT-Arbeit zu erleichtern. Jetzt wird die Show vorbereitet. "Ob Peter Jureit dabei Erocs Rolle übernehmen wird?" fragen wir. "Auf keinen Fall", verneint Milla, "weder im Studio, noch auf der Bühne wird Peter versuchen, Eroc zu kopieren. Er wird sich zwar in dem Maße an der Show beteiligen, in dem wir alle Mitmachen, aber mehr nicht!" – "Und wer wird Erocs Rolle übernehmen?" – Lupo: "Keiner, denn Show heißt für Grobschnitt ja nicht unbedingt, daß wir so eine Ulk-Show machen müssen. Wir haben ja auch schon ernstere Parts, wie z. B. beim letzten Mal gehabt. Wir werden weiter mit Show arbeiten, sie nur eben anders einsetzen. Das hängt sehr stark von der Art unserer LP ab!"

Milla: "Die Grobschnitt-Show spiegelt immer das Gesicht der Gruppe wieder. Die Shows so um 73/74 waren eben genau so wie Grobschnitt damals war. Da ist nichts aufgesetztes dabei! Toni war damals wirklich so doof, das war spontan. Deshalb sähen wir keinen Sinn darin, eine Ulk-Show zu machen, wenn wir alle keine Lust haben, nur weil wir damit Erfolg hatten. Die Show, die wir diesmal machen, wird also eindeutig Grobschnitt ’84 repräsentieren."

"Ob sie immer noch Schwierigkeiten mit Rundfunk und Fernsehen haben?" "Das ist vorbei", sagt Lupo, "unser Verhältnis hat sich grundlegend geändert. Früher sind wir dahin gefahren und haben uns fest vorgenommen: "Die hau’n wir in die Pfanne!" Das hat dann auch funktioniert, aber wir haben auch die Quittung bekommen."

Trotz allem gehört GROBSCHNITT seit 14 Jahren dazu. Ihre neue LP ist aber alles andere als eine Ermüdungserscheinung, eher eine Suche nach neuen Wegen. Lupo: "Wir machen immer wieder etwas anderes als vorher. Und das ist anscheinend der Grund, warum wir uns so lange halten konnten. Die Leute sind dann immer wieder überrascht, oder auch vielleicht enttäuscht, wenn die LP ihnen nicht so gut gefällt. Auf jeden Fall scheinen wir das Publikum immer wieder aufs Neue herauszufordern!"

E.R.P.L.

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