Artikel aus dem HA-GAZIN Ausgabe Juni 1987

Hagen. (thor) Auch wenn die Hagener Rock-Szene weitgehend aus den Schlagzeilen der Zeitungen und Zeitschriften und von der Mattscheibe verschwunden ist, auch wenn Nena und Extrabreit derzeit kaum ein (musikalisches) Thema sind, tot ist die Rockmusik »made in Hagen« durchaus nicht »Grobschnitt« liefern den Beweis - seit nunmehr 17 Jahren steht die Band, wenn auch in wechselnder Besetzung auf der Bühne und begeistert ihr Publikum. Das HA-GAZ1N begleitete Grobschnitt eine kurze Wegstrecke lang auf ihrer Mammut-Tournee durch Deutschland.

Seit Mitte März tourt die Hagener Rockband Grobschnitt nun schon durch Deutschland. Mehr als 50 Konzerte werden die sechs Musiker von der Volme nach Bochum, Frankfurt, Düsseldorf, Mainz, Bremen, Hannover, Hamburg, Berlin, Bielefeld, Münster, Dortmund, Nürnberg, Essen, Stuttgart und Saarbrücken führen, um nur einige Stationen zu nennen.

Was macht den Erfolg dieser Gruppe der ersten Stunde aus, die nach Ablauf ihrer diesjährigen Tournee vor mehr als 100.000 begeisterten Zuschauern gespielt haben wird?

Milla Kapolke, seit nunmehr sieben Jahren Bassist bei Grobschnitt, sieht für den gleichbleibenden Erfolg seiner Gruppe hauptsächlich einen Grund: "Grobschnitt hat sich eigentlich seit Bestehen weitgehend unabhängig von Trends und Modeerscheinungen in der Rockmusik gemacht, das heißt, wir haben unser Publikum, unsere Fans im Laufe der Jahre durch unseren ureigenen Stil gewonnen. Die Leute kommen in unsere Konzerte, um Grobschnitt zu hören, und nicht, weil wir vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt so ähnlich musizieren wie eine andere Band, die gerade die Hitparade erobert."

Auch wenn die Musik zu dem Science Fiction Film »Silent Movie«, die von Grobschnitt komponiert und gespielt worden war, 1981 um die Welt ging und die Gruppe damit auch international bekannt machte, Kommerz-Orientiertheit kann man der Band wirklich nicht vorwerfen.

Daran ändern auch die »Ausrutscher« in den Jahren 1983 und 1984 nichts, als Grobschnitt mit den Singles »Wir wollen leben« und »Wie der Wind« ihren Beitrag zum Siegeszug der Rockmusik aus Hagen in den Hitlisten der Rundfunkanstalten leisteten. Zu dieser Zeit war natürlich die Versuchung groß, in dieser Schiene weiterzufahren, zumal die Plattenfirma darauf drängte, auf dieser Welle noch ein Weilchen weiterzureiten.


Auch wenn es an diesem Abend in der Winterberger Eissporthalle kalt war,
echte Grobschnitt-Fans kann das nicht abhalten. Schon nach wenigen
Stücken hatte wohl jeder die Kälte vergessen ...

Wie gut die Gruppe möglicherweise daran tat, dieser Versuchung nicht zu erliegen, wird vielleicht auch in dem Schicksal der Hagener Aushängeschilder in Sachen Rockmusik, Nena und Extrabreit deutlich, die derzeit einige Schwierigkeiten haben, an ihre einstigen Erfolge anzuknüpfen.

»Wir wollen leben«, die erfolgreichste Single der "grob Geschnittenen" gehört heute übrigens nicht einmal mehr zum Programm, das in den Zugaben gespielt wird. Grobschnitt kann so für sich in Anspruch nehmen, zwar nie schwindelerregende Höhen des Musikgeschäftes erklommen zu haben, dafür aber auch nie die Tiefen durchmessen gemußt zu haben wie die Kollegen von Extrabreit, die ihre Zuhörer augenblicklich mit Handschlag begrüßen können, ohne dabei viel Zeit zu verlieren. Milla Kapolke: "Von unseren Schallplatten-Verkäufen konnten wir noch nie leben, viel wichtiger waren und sind die Live-Auftritte, der direkte Kontakt zu unserem Publikum."

Tournee heißt für Grobschnitt in diesem Jahr von Mitte März bis Ende Juni aus dem Koffer zu leben. Der Tagesablauf beginnt morgens etwa gegen 10 Uhr, je nachdem, wie weit es bis zum nächsten Konzertort ist, auch früher. Ab mittags beginnt dann die sechsköpfige »Road-Crew« mit dem Aufbau der Anlage, die sich übrigens entgegen den Gepflogenheiten der Branche im Besitz der Band befindet.

 

 

Aufbau der Anlage, das bedeutet harte Knochenarbeit. Insgesamt 16 Tonnen Ausrüstung müssen von Hand ausgeladen, ausgepackt und installiert werden. "Etwa vier Stunden brauchen wir für den Aufbau", erzählt uns Heinz, als selbständiger Unternehmer im »Roady-Geschäft« tätig.

Wenn alles steht, alle Stecker in der richtigen Dose sind, wenn die unzähligen Meter Kabel verlegt sind, ist dann der "Auftritt" von Franz an der Reihe, dem studierten Ton-Ingenieur der Gruppe. »Sound-Check« heißt das stundenlange, für den Beobachter ermüdende Geschäft. Jedes Instrument muß am Mischpult genau auf die akustischen Gegebenheiten der jeweiligen Halle eingestellt werden. Jede Halle muß anders beschallt werden, bis schließlich die insgesamt 10.000 Watt den Sound liefern, für den die Gruppe bekannt ist, und den ihre Fans von ihr erwarten.


Ungewöhnlich für eine Rock-Band: das gesamteEquipment, das
ungefähr eine Dreivirtel Mio DM wert ist, gehört den Musikern.

 

Als wir an diesem Abend bei dem Konzert in der Winterberger Eissporthalle dabei sind, ist es der 36. Auftritt der laufenden Tournee. Macht das dann eigentlich noch Spaß, jeden Abend das gleiche Programm "abzuspulen"? Die Reaktion auf diese Frage ist heftig. "Wir sind keine Maschinen und Rockmusik ist kein Computer-Programm. Sicher gibt es gute und weniger gute Konzerte, aber Lustlosigkeit gibt es nicht und darf es nicht geben. Außerdem ist da ja auch noch das Publikum, das Dich anheizt!"

Was das "Einheizen" betrifft, sind die Bedingungen an diesem Abend alles andere als ideal. Die Halle verfügt über keine Bühne und macht ihrem Namen und sonstigen Verwendungszweck alle Ehre, es ist lausig kalt. Schon vorher hatten sie das weitgehend gewußt, warum sind sie dann trotzdem wieder nach Winterberg gekommen? In der Antwort auf diese Frage spiegelt sich viel von dem Verhältnis wieder, das die Gruppe zu ihren Anhängern pflegt: "Auch hier im Hochsauerland leben unsere Fans, und sie haben das gleiche Recht wie die in Bergisch-Gladbach, Tuttlingen oder Bad Harzburg."

Also beginnt zum 36. Mal die über dreistündige Bühnenshow, für die Grobschnitt mittlerweile bekannt ist. Passend zu ihrer aktuellen LP »Fantasten« treten die Mitglieder der Road-Crew abwechselnd in Phantasie-Kostümen als Fabelwesen auf, werden mit Schleifhexe und Schweißbrenner besondere Effekte in Licht und Schall auf die Bühne gezaubert.

 


Vor jedem Konzert immer wieder das Gleiche: Gitarrist "Lupo"
und Bassist Milla Kapolke beim "Soundcheck".

Toni Moff Mollo, Herr über die 150.000 Watt Scheinwerfer-Anlage, taucht das ganze Spektakel nach genau festgelegter Licht-Regie in vielfarbige Kegel oder läßt kurzerhand alles schemenhaft im Qualm der Nebelmaschine verschwinden. Jedes der aufwendigen Kostüme, wie überhaupt alles rund um die Band und ihre eindrucksvolle Show, ist übrigens von den Mitgliedern der Gruppe selbst erdacht und gefertigt worden.

Die an diesem Freitagabend erschienenen Fans von Grobschnitt haben ihr Kommen nicht bereut, zumal von der bereits erwähnten Kälte schon nach wenigen Minuten kaum noch etwas zu spüren war. So geht es auch an diesem Abend trotz drei Stunden Musik nicht ohne mehrere Zugaben ab.

 

Kurz vor Mitternacht geht schließlich in der Eissporthalle von Winterberg das Licht wieder an. Noch während Willi, Lupo, Ralf, Toni, Milla und Thomas Autogramme geben und mit ihren Fans plaudern, sind die Roadies bereits damit beschäftigt, die gesamte Ausrüstung wieder einzupacken, was etwa noch zwei Stunden dauern wird.

Am nächsten Morgen wird es mit dem Ausschlafen nicht viel. Abends steht der nächste Auftritt im mehr als 200 Kilometer entfernten Alzey auf dem Tournee-Fahrplan. Das hindert die Rockmusiker aus Hagen jedoch nicht, im Hotel in aller Ruhe noch ein Bierchen zu trinken, denn "schlafen kann direkt im Anschluß an ein Konzert sowieso keiner von uns", wie Milla versichert.

Die Hagener Rockgruppe Grobschnitt auf Tour: »Fantasten«, die mit den Beinen auf dem Boden geblieben sind.

 


Franz, studierter Ton-Ingenieur, an seinem Instrument.
Er ist für den perfekten Sound in der Halle verantwortlich.

Anmerkung vom Webmaster: Hier hat ein Redakteur mal wieder außerordentlich "gut" recherchiert. Er ist wahrscheinlich der einzige der herausgefunden hat, daß Grobschnitt die Musik zum Film "Silent Movie" gemacht hat. Selbst den Musikern wird dieses Ereignis wohl verborgen geblieben sein. Daneben scheint sich der Schreiber auch nicht einmal in der Filmbranche auszukennen, denn "Silent Movie" ist kein Science Fiction-Film sondern eine Stummfilmkomödie von Mel Brooks. Wahrscheinlich meint er "Silent Running", aber der Film ist aus 1971 - Grobschnitts "Silent Movie" erschien 10 Jahre später - und die Musik stammt von Peter Schickele (zwei Songs wurden von Joan Baez gesungen).

Pressetexte-Menue