Artikel der Zeitschrift MusikSzene

Fuffzehn und kein bißchen leise..

Als sich 1970 sechs Hagener zum gemeinsamen Musizieren zusammentaten, schlug das Geburtsstündlein einer Band, die zwar so ziemlich die dienstälteste der Republik geworden ist, aber noch längst nicht ans Abdanken denkt: Grobschnitt. Eine Bühnen-Institution, die wohl jeder kennt, die aber nie in den 15 Jahren in einem Erfolgsboom verschlissen und in der Folge zu den Akten gelegt wurde. Kontinuität heißt die Tugend dieser Band, die seit ihrem Bestehen zwar etliche Besetzungswechsel zu verdauen hatte, ihren musikalischen Weg aber wie ein Mann ging. Und der lautet auch Anno ‘85: drei- bis vierstündige Monstershows der Unterhaltungs-Güteklasse A, mit einer Musik, die Entdeckungsreisen quer nach oben und hinten zuläßt.

Als ich vorletzte Woche zwecks aktueller Stellungnahmen zum Thema Grobschnitt nach Hagen fahre, wird mir angesichts persönlicher Erinnerungen bewußt, wie lange dieser Verein schon auf der Rolle ist. Mir fallen etliche ihrer Auftritte ein, ihre legendäre Sahara-Show, die Bühnenpräsentation von Rockpommels Land, die Söldner-Show und der absolute Live-Klassiker, jawohl, "Solar Music". Grobschnitt war mehr als eine Band auf der Bühne: Totales Einfangen des Hörers in eine Welt der Illusion, des Zaubers, des Unwirklichen, des Dunkels und der Farben. Aber bevor hier wer mutmaßt, die ganze Kiste hätte zu irgendeinem Zeitpunkt Anspruch auf ernsthaften Bombast und künstlerische Perfektion erhoben, nichts dergleichen. Spontaneität, Witz und der Mut, sich selbst gehörig auf den Arm zu nehmen, machten eine Grobschnitt-Show zu einem kurzweiligen Wechselbad aus purem Staunen und, schlicht Spaß. Und das Schöne ist: Das wird hier kein wehmütiger Nachruf für eine glorreiche Vergangenheit, sondern höchstens eine reflektierende Einleitung. Grobschnitt ist lebendig wie eh und rüstet derzeit zu einem neuerlichen Show-Ereignis, nämlich der ‘85er Jubilee-Tour.

                

Auf die ehrliche Art

Wir sitzen bei Lupo auf der Bude, er hat mir gerade den neuesten Bewohner des trauten Heims, einen zehn Tage alten Mini-Grobschnitt, vorgeführt, als auch Milla, seit 1980 der Baßmann und Hauptlyriker der Band, zur Informationsabgabe anrückt. Also, wie bleibt man 15 Jahre lang einer der beständigsten Publikumsmagneten, der das kometen-gleiche Auf-glühen etlicher Stars am Rock-Firmament und ihr Verschmurmeln zur Stern-, mit der Betonung auf "schnuppe", unbeeinträchtigt überdauerte?

Milla: "Wir versuchen nach wie vor, von Trends und Maschen unabhängig zu bleiben. Nach 15 Jahren mußt Du, wenn Du dranbleiben willst, einerseits Deine klare Richtung haben, doch andererseits so flexibel und entwicklungsfähig bleiben, daß es nicht zur bloßen Routine erstarrt. Du mußt Dich in Deiner Spur entwickeln, nicht irgendwo hinschielen, sondern eben auf die ehrliche Art."

Doch es läßt sich kaum leugnen, daß sich das Umfeld für eine Band wie Grobschnitt, der ja nun das Freak- und Kiffnasen-Image wie kaum einer anderen Formation anhing, in Zeiten von NdW und kurzlebigen Hitparadenblinkern recht drastisch verändert haben muß, oder?

Lupo: "Sicher, mit Aufkommen der NdW, so ‘82 rum, war die Zeit der reinen LP-Produktionen schlagartig vorbei. Bis dahin ignorierte jeder halbwegs ernsthafte Musiker den gänzlich uninteressanten Single-Markt; auch wir hatten bis dahin nur komplette LPs abgeliefert. Plötzlich war der Single-Hit gefragt. Lustigerweise hatten wir den mit "Wir wollen leben" zu genau diesem Zeitpunkt. Reinster Zufall, aber wir hatten ihn."

Milla: "Noch was zu dem Kiffnasen-Image. Ich meine, das stimmt, wir waren und sind der Inbegriff in dieser Richtung. Nur: Keiner der Musiker in der Band hat jemals irgendwelche Drogen genommen."

Jetzt mach' aber halblang ....

" ... wirklich nicht..."

... wär' ja nicht schlimm, zumal es der gestandene Grobschnitt-Fan eh als gesicherte Erkenntnis betrachtet. Weiter

Milla: "Es geht ja nur darum, festzustellen, daß die Leute da was falsch sehen. Unser Publikum pflegte zu jeder Zeit in unseren Konzerten sein Kraut zu rauchen und nahm automatisch an, wir würden's genauso halten. Uns hat noch keiner mit einem Joint auf der Bühne gesehen. Uns war das eigentlich nie so recht bewußt geworden, daß man sich bei unserer Musik so prima ein Pfeifchen stopfen kann, erst als die Leute richtig sauer wurden, wenn wir erklärten, daß die Musiker nicht kiffen. Wir könnten es uns zudem gar nicht leisten, irgendwie bekifft anzutreten, denn dazu ist unser Programm auch zu lang und zu kompliziert."

Dennoch trat ja gerade die Grobschnitt-Crew für eine Legalisierung des Dope-Konsums ein. Ist doch ein Widerspruch, oder nicht?

Milla: "Dazu stehen wir ja auch, das ist aber eine völlig andere Sache. Das hat für uns vor allem was mit Liberalität zu tun, mit gewissen vertretbaren Freiheiten. Wir finden es einfach beschissen, daß jemand kriminalisiert wird, der ruhig und friedlich seine Pfeife raucht. Daß die Problematik bei harten Drogen anders aussieht, wissen wir auch."

Immerhin könnte man ja meinen, daß einem eine derart ausgeklinkte Show, wie sie für Grobschnitt seit ewigen Zeiten typisch ist, so ganz klar, bei Gerolsteiner pur, nicht recht einfallen will?!

Lupo: "Wieso denn nicht? Wir setzen uns ja nicht hin und suchen verkrampft nach Lachern und Gags. So'n Programm entwickelt sich bei uns zwanglos und spontan, beim Proben und bei den Konzerten. Hier und da wird was notiert; doch im großen und ganzen entsteht eine Show ganz natürlich. Wir sind so. Wir machen das nicht aus Kalkül, genau berechnet, sondern weil's uns Spaß macht, mit Verkleidungen und dem ganzen Brimborium zu arbeiten. Irgendwie kristallisiert sich dann aus den ganzen Ideen und Einfällen so was wie die Sahara-Show heraus; eher zufällig. Wir verarbeiten Sachen, die jeder sieht und mitkriegt, was uns interessiert, bauen wir ein. Auch Dinge, die uns bedenklich erscheinen, werden aufgegriffen, wie zum Beispiel bei der ,Razzia'-Geschichte. Der Titel ,Wir wollen leben' entstand, weil uns die Vorgänge bei den Startbahn-West-Demonstrationen unheimlich stanken."

"Wir gehören nicht zur Elite"

Grobschnitt also nicht nur als überdimensioniertes Kasperle-Theater, sondern auch als Repräsentanten einer bestimmten Geisteshaltung, einer Haltung, die Konventionen und Anpassung, Gleichmacherei und gesellschaftlichen Zwängen äußerst skeptisch gegenübersteht. Dennoch stand eigentlich so gut wie nie zur Debatte, Grobschnitt auf einer Friedensdemo oder ähnlichen Aktionen spielen zu lassen.

Milla: "Wir sind wahrscheinlich von unserer Bühnenpräsentation her nicht so optimal geeignet ..."

Lupo: "Tja, ist schon komisch, aber wir gehören zur deutschen Elite wohl nicht dazu. Als wir damals ‚Wir wollen leben' gemacht hatten, da rief in der Folge niemand bei uns an. Alle, von Lindenberg bis Hartz, setzten sich bei Greenpeace in den Kahn, obwohl wir den Song mit den unmißverständlichsten Umweltthemen draußen hatten; aber selbst im Funk hat ihn außer der WDR kein Aas gespielt"

Milla: "Wir hatten auf der damaligen Tour richtige Aktionen für Greenpeace veranstaltet, diverse Sachen verteilt - keine Resonanz. Das scheint so'n Klüngel von Leuten zu sein, die sich kennen, und wir gehören da nicht zu."

Womit wir bei einem Phänomen wären, welches ebenfalls kennzeichnend für Grobschnitt war und ist: Ihre Präsenz in den Medien, sei es Fernsehen, Radio oder Zeitung, stand eigentlich von jeher in einem bemerkenswerten Gegensatz zu ihrer tatsächlichen Bedeutung als äußerst erfolgreich arbeitende Gruppe. Die Abstände, in denen es was über Grobschnitt zu lesen oder sehen gab, waren meist so groß, daß man unwillkürlich reagierte: "Ach, gibt's die noch?"

Lupo: "Ja, das lief immer schon mäßig. Wir hatten durchaus eine zufriedenstellende Presse, allerdings vorwiegend bei den Lokal- und Alternativblättern, was aber wohl auch daran liegt, daß die Gruppe schwer zu fassen und einzuordnen ist. Auch haben wir's Irgendwelchen Zeitungsfritzen nie ganz leicht gemacht, die mußten schon ein bißchen Spaß verstehen. Aber wie gesagt, in den Musikzeitschriften größeren Stils, wie zum Beispiel ,Musik Express‘, da stand so gut wie nie was über uns drin. Da kriegen wir schon seit Jahren für jede LP nur einen Stern. Wir wissen schon vorher, da haben die die Platte noch gar nicht, da ist für uns völlig klar: ein Stern! Da werden wir regelmäßig auseinandergenommen, man gewöhnt sich dran. Bedenklich ist daran nur, daß da Leute zu Werke gehen, die sich gezielt unsere Platte vornehmen, um die längst fertige Verriß-Orgie abzufahren. Kein Mensch muß Grobschnitt toll finden, doch wir erwarten ‘ne gewisse Sachlichkeit, da hat meiner Meinung nach auch der Leser Recht drauf. Von den etablierten Musikzeitungen hat uns eigentlich nur das Fachblatt immer fair behandelt."

Auch im Rundfunk kommt Ihr recht unterschiedlich weg.

Lupo: "Also, WDR, NDR, Rias oder der Südfunk, da geht's eigentlich, da können wir uns nicht beklagen, aber so richtig tot ist es beim SWF."

Milla: "Und das wäre für uns so ziemlich der wichtigste Sender, weil der einen unheimlich großen Einzugsbereich hat. Das ist sicher mit ein Grund, weshalb viele Sachen von uns nicht so richtig gezündet haben, weil der SWF uns einfach nicht spielt. Da muß einer sitzen, der, wenn er Grobschnitt hört, sofort zusammenbricht."

Unter Ausschluß der Medien

Lupo: "Es ist manchmal nicht zu fassen: Wir haben z. B. die Gruga-Halle, die Philipshalle und ähnliche Hallen ausverkauft - allein -, meinst Du, da wär' einer von der ,höheren' Presse gewesen? Alles, was bei Grobschnitt groß war und ist, läuft quasi unter Ausschluß der Medienöffentlichkeit."

Nur tut das der Popularität der Band bei Ihren Fans offenbar nicht den geringsten Abbruch, die Planung für die Jubiläumstournee ist fast abgeschlossen und nimmt sich beileibe nicht bescheiden aus.

Lupo: "Das ist ja das Schöne: Dieses Jahr können wir uns z. B. vor Konzertangeboten kaum retten, zu einer Zelt, wo die Veranstalter weiß Gott vorsichtig geworden sind und andere große Namen böse Einbrüche erlebt haben, wie z. B. Spliff auf ihrer letzten Tour. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ich mache seit Jahren daß komplette Management selbst, Konzertbuchung und alles, was damit zusammenhängt, und hatte binnen kürzester Zeit 47 Konzerte unter Dach und Fach, und zwar zu ausgezeichneten Bedingungen. Es werden sicher über 70 Konzerte werden dieses Jahr."

Was erwartet denn den Zuschauer zum Jubiläum? Ein Zusammenschnitt der letzten 15 Jahre?

Lupo: "Ganz und gar nicht, sondern eine nagelneue Show. Wir haben zwar auch daran gedacht, möglicherweise eine Art Potpourri aus alten Zelten zu bringen, aber das wäre einfach nicht Grobschnitt heute. Die kommende Show wird wieder witziger als die letzte. ,Kinder und Narren' war ja mit den Tänzerinnen teilweise sehr künstlerisch. Demnächst kommt wieder Toni Moff Mollo voll zur Geltung; Klamauk und der direkte Draht zum Publikum stehen wieder voll im Vordergrund."

Wie sieht's hinsichtlich einer neuen Plattenfirma aus, derzeit ist Grobschnitt vertraglos?

Lupo: "Unser alter Plattenvertrag war schlicht ausgelaufen. Wir bieten im Moment neues Material an, allen Firmen. Mehr kann man dazu im Augenblick eigentlich nicht sagen. Wir arbeiten weiter an der Produktion und sind im übrigen sehr zuversichtlich, denn, äh, die Band ist gut. Das soll hier kein billiges Eigenlob sein, aber ich glaube, das darf man nach 15 Jahren schon mal sagen, und wenn wir keinen Plattenvertrag kriegen, dann weiß ich nicht, wer einen kriegen soll. Steht aber auch gar nicht zur Debatte, ist nur ein bißchen ungewohnt, zum erstenmal seit zig Jahren keinen Vertrag zu haben."

Also, ich glaube auch, daß irgendwelche Befürchtungen in der Richtung unbegründet sind, denn Grobschnitt verdienen ein Attribut, das noch lange nicht jeder Band zusteht: Sie sind einmalig. Deshalb will ich auch verzichten, das Erlebnis, das ein Grobschnitt-Konzert darstellt, mühselig und dennoch unzutreffend mit Worten zu beschreiben, denn trotz 10 ausgesprochen individueller LPs ist Grobschnitt vor allem eine Live-Attraktion, was bei den heutigen Vermarktungs-Mechanismen ganz klar der undankbarere Weg ist, seine Fans bei der Stange zu halten. Und deshalb sind die Jungs bis in den Sommer hinein in der Republik unterwegs, und es steht zu hoffen, daß nicht nur die kommen, die Lupo wie folgt charakterisiert: "Zu uns kommen nur bestimmte Leute. Allein durch unsere Musik und natürlich die Optik sprechen wir wohl primär die sogenannten Alternativen an, so ähnlich wie BAP z. B., so in diese Richtung geht das wohl."

Alle, die meinen, Boy George sei das ultimative Kostümierungsgenie, sollten auch hingehen, die Konzerttermine entnehmt ihr dem Tourkalender.

Nobby Scholz


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