Artikel aus der Zeitschrift Spotlight 1978

Hagen ist eine Industriestadt im Westfälischen, an der Grenze zum Hochsauerland gelegen und die bewaldeten Hügel ringsum vermitteln der Stadt eine Atmosphäre von Behaglichkeit und Dörflichkeit, die den industriellen Charakter der Stadt leicht in den Hintergrund treten läßt. Aber Hagen hat neben der Industrie und bewaldeten Hügeln mehr zu bieten als der unbedarfte und nicht rockmusikbewußte Beobachter auf den ersten Blick erkennen kann. Hagen ist die Heimat der wohl besten Live-Band in Deutschland, und vielleicht auch der hierzulande eigenwilligsten Band.

Grobschnitt kommt aus Hagen, und die Eigenwilligkeit dieser Gruppe ihr eigensinniges Beharren auf ihrer Ansicht von Musik und Show hat der Band mittlerweile eine beachtliche Fan-Schar eingebracht. Unter Veranstaltern geht der Spruch: ‘Wo Grobschnitt zum ersten Mal auftritt, kommen möglicherweise nur 800 Leute, aber wenn sie dann nach einem halben Jahr wiederkommen, sind es bestimmt 1400 Leute.' Und so ist es auch tatsächlich, dieser Aufschwung, dieser Durchmarsch von der unbekannten Regional-Band zur deutschen Spitzenformation vollzog sich dabei fast vollständig ohne große Medien-Hilfe, zumindest im Anfangsstadium. Heute ist es nicht mehr ganz so. Die Presse bemüht sich nun auch, um Grobschnitt und allenthalben findet man Fotos und Berichte, die sich mit dem Phänomen aus Hagen beschäftigen. Grobschnitt hat soviel Ungewöhnliches, daß es nicht schwerfällt, von einem Phänomen zu reden. Schon allein die Musik ist auf den ersten Blick alles andere als erfolgsträchtig, ist nicht nach den allgemeinen Gesetzen der kommerziellen Musikerstellung erarbeitet. Oftmalige Wiederholungen eingängiger Melodien fehlen in den superlangen Konzeptstücken fast vollständig, und selbst wenn einige Melodien oder Gitarrenriffs mehrmals harmonisch hintereinander gespielt werden, wird der Höreindruck durch eine Vielfalt nachlaufender Themen wieder ausgelöscht. Dem Nichtmusiker, dem Nur-Konsumenten fällt es schwer, sich detailliertere Grobschnitt-Eindrücke zu verschaffen. Vielleicht lag es daran, daß Grobschnitt bei den Kritikern in der Vergangenheit, und ab und an noch in der Gegenwart nur selten positives Verständnis fand.

Wie auch immer, die Band kümmerte sich wenig um alle diese Schreibe, sondern tourte und tourte mit wachsenden Besucherzahlen in allen Teilen Deutschlands und hielt dabei beharrlich am einmal angefangenen Konzept fest. Grobschnitt-Stücke sind Erzählstücke, haben selten eine Dauer von weniger als einer dreiviertel-Stunde und Grobschnitt lockert nur auf durch ihren Show-Klamauk, der, ohne die Stücke zu unterbrechen, sich nahtlos in die Gesamtkonzeption einfügt. Deshalb sind die Roadies bei Grobschnitt nicht nur P.A.-Aufsteller und Gitarrenkofferschlepper, sie gehören zum musikalischen Konzept der Band. Ihnen obliegt es, an den entsprechenden Stellen in den Stücken die visuelle Themendarstellung zu sichern. Sei es nun in Rockpommels-Land, wo die Roadies mit Kostümen auftreten und die vorkommenden Figuren plastisch vorstellen, oder sei es wie in Solar Music, wo sie die Aufgabe haben, für den punktgenauen Einsatz der Lichteffekte zu sorgen. Dieser Aufwand, so sehr er auch nötig ist, so sehr er auch vom Publikum akzeptiert wird, kostet die Band jedoch eine ganze Menge Geld, denn anders als bei anderen Bands, wo die Techniker möglicherweise nur zeitweilig eingesetzt sind, zumeist nur für Tourneen, ist die Grobschnitt-Crew das ganze Jahr über fest im Einsatz. Gerd Kühn, Gitarrist und Hans Dampf in allen Gassen bei Grobschnitt, der sich um die Tourneetermine ebenso wie um die finanzielle Absicherung der gesamten Grobschnitt-Aktivitäten kümmert, weiß ein besonderes Lied davon zu singen.

"Also mit den Roadies ist es so, daß sie eigentlich vom Konzept her ebenso dazu gehören, wie die Musiker, und dieser Aufwand kostete uns jährlich allein an die 100.000 DM." Dieser Aufwand, wie auch technische Investitionen - Grobschnitt ist für ihre P.A.-Anlage bekannt - müssen natürlich finanziert werden, das Geld muß von irgendwoher kommen. Die Plattenumsätze sorgen erst in letzter Zeit für Einnahmen, über deren Höhe es sich zu reden lohnt. Bis das es dahin kam, daß Grobschnitt 40.000 Alben im Mittel von jeder LP verkaufte, war eine lange Durststrecke der Aufbauzeit durchzustehen.

"Es blieb uns einfach gar nichts anderes übrig als zu touren und zu touren. Im Jahresmittel pro Monat an die zehn Konzerte waren keine Seltenheit, und oftmals mußten wir die Arbeit zu unseren Alben unterbrechen, weil wir Konzerttermine wahrnehmen mußten, die wir einfach nötig hatten, zur Absicherung unseres monatlichen Aufwandes, erinnert sich Gerd Kühn. Dieses kompromißlose Festhalten, dieses sich Durchbeißen durch alle Schwierigkeiten hat sich nun gelohnt. Zum ersten Mai ist die Band nun in der Lage, weniger Konzerte machen zu müssen, dadurch also mehr Zeit für Produktionsvorbereitung zu haben, und doch finanziell keine größeren Risiken eingehen zu müssen.

Dennoch, längst ist nicht alles Gold was da glänzt. Schwierigkeiten gibt es noch genug. Gegenwärtig ist die Band auf Tournee, und zum ersten Mal hat sie den Sprung in die größeren Hallen gewagt, die ansonsten nur für die Topacts des Auslandes gebucht werden. Wahrscheinlich geht es gut, denn die wachsende Anhängerschar Grobschnitts wird sich eine Präsentation ihrer Band auf größerer Bühne, mit noch intensiverer Show wohl kaum entgehen lassen. Dennoch ist der Sprung von den Clubs und Stadthallen von Mittelstädten in die Großhallen der Oberzentren nicht ohne Risiko und Wagnis.

Die größeren Hallen erfordern auch einen größeren technischen Aufwand sowohl für Licht, als auch für den Sound. Allein die neue Lichtanlage, die sich die Band zulegte, kostete rund 50.000 DM und für die P.A.-Anlage, die jetzt bis auf den Grobschnitteigenen Mixer von Glockenklang fast vollständig aus Dynacord-Einheiten besteht, mußten auch einige Märker locker gemacht werden. Auf das Risiko angesprochen meint Gerd Kühn dazu "Ich glaube, daß Grobschnitt mittlerweile dort angelangt ist, wo es einfach eine Notwendigkeit ist, die größeren Hallen zu spielen. Bei zu vielen Konzerten in kleineren Hallen auf dem Lande haben wir ausverkaufte Häuser und viele Leute können nicht mehr ins Konzert. Auf der anderen Seite bekommen wir viele Fanpost, und an deren Anwachsen sehen wir auch, daß sich immer mehr Leute für uns und unsere Musik interessieren." Eine Rock-Band mit Fanpost, davon gibt es hierzulande sicher nicht viele Bands, und die Ordner, die Gerd Kühn vorzeigt, haben einen ganz beachtlichen Umfang. Beim Blättern in diesen Ordnern fällt sofort auf, daß sich die Fans, die hier schreiben, sehr intensiv mit der Musik befassen, und daß es kaum Starkultanzeichen gibt, wie sie die Popkinder ihren Idolen schreiben. Dennoch schreiben zwei von drei Anhängern, daß sie sich selbst als größten Grobschnitt-Fan aller Zeiten betrachten. Besonders gelobt wird in den Briefen die "Natürlichkeit" der Band, damit ist gemeint, daß die Band es vorzieht, Showeinlagen und direkte Publikumsansprache in der hier beheimateten, nämlich in der deutschen Sprache zu halten.

Dennoch singt die Gruppe englisch, obwohl es auch ein Album gibt, welches in zwei Versionen, deutsch und englisch veröffentlicht wurde. Durch verschiedene Umstände, wie nachgeschobene Veröffentlichungstermine usw. kann man an den Verkaufszahlen aber nicht ablesen, ob sich die deutsche Version besser verkauft hatte, als die englische. Zu diesem Zeitpunkt liegt die englischsprachige Fassung vorne. Ob es nun richtig oder falsch war oder ist, weiterhin englisch zu singen, kann daher nicht klar beantwortet werden. Vielleicht haben die Kritiker recht, die sagen, daß eine Band, deren hauptsächliche Verkaufsinteressen in Deutschland liegen, besser wegkommt, wenn sie ihre Texte auch in deutscher Sprache vorträgt, oder aber die Leute haben Recht, die sagen, Erfolg in Deutschland ist gut, aber er sollte nur als Sprungbrett in die internationale Szene benutzt werden, und dort ist eben englisch die gängige Sprache. Nun, die Zukunft wird es zeigen ob Grobschnitt den Sprung in die internationalen Märkte schafft, oder aber, ob ihr Markt Deutschland ist und bleiben wird. Ausgehen kann man jedoch von der Tatsache, daß es sich bei allen Aktivitäten kaum um Resultate aus Zufallsentscheidungen handeln wird, denn bevor Grobschnitt etwas unternimmt, bevor die Band zu diesem oder jenem Vorhaben ja oder nein sagt, findet hinter verschlossenen Türen im Übungsraum eine demokratische Diskussion statt, deren Mehrheitsbeschluß dann die Entscheidung bildet. Und sicherlich liegt darin ein wesentlicher Bestandteil der Stärke Grobschnitts. Ohne Manager, administrative Verwaltungsleute bestimmt die Band immer selbst über ihre Geschicke, und ist ein Entschluß einmal gefaßt, wird er bedingungslos von allen Mitgliedern verfolgt und zur Durchsetzung gebracht.

Wie konsequent die Band in solchen Dingen vorgeht, ist an der Geschichte vom Bagger abzulesen. Schon in der ersten Zeit hatte Grobschnitt schon ein sogenanntes Bühnenpapier aufgestellt, in dem alle wesentlichen Bedürfnisse zur korrekten Durchführung eines Konzertes dem Veranstalter frühzeitig mitgeteilt wurden. Nun passierte es, daß sich ein Veranstalter wohl dachte, was soll’s, selbst wenn die Bühne kleiner ist als die geforderten Maße, werden sie wohl spielen, wenn sie einmal angereist sind. Doch Grobschnitt dachte nicht daran . Als sie feststellen mußten, daß die Bühne zu klein war, um P.A. und Bühnenanlage aufstellen zu können, reisten sie kurzentschlossen wieder ab. Ohne Gage, denn dazu meinte der Veranstalter, daß er sie nur nach abgeleistetem Konzert bezahlen müsse. Grobschnitt wollte aber zu Recht nicht auf die entgangene Gage verzichten, und so kam es zu einem Briefwechsel, bei dem sogar schon vom Einsatz von Rechtsanwälten die Rede war. Doch bevor es dazu kam, beugte sich der Promoter den besseren Argumenten und bezahlte.

Was war passiert. Lupo, zusammen mit Wildschwein hatten sich das Gleichnis vom Bagger einfallen lassen, und es dem Veranstalter mitgeteilt. Weil dieses Gleichnis aber ein nutzbringendes Beispiel für andere sein kann, die in ähnliche Umstände geraten oder auch schon darin stecken, sei es hier erzählt, und auch weil die Geschichte an sich so köstlich ist. "Es war einmal ein Mann, der hatte keine Arbeit. Da kam ein Bauunternehmer daher und meinte, grab mir doch ein Loch und ich gebe dir dann Geld dafür. Arbeiter und Bauunternehmer wurden sich schnell handelseinig und der Bauunternehmer versprach dem Arbeiter, daß an der Baustelle ein Bagger bereitstehen würde, mit dem der Arbeiter das Loch buddeln sollte. Am nächsten Morgen ging der Arbeiter zur Baustelle, doch es war kein Bagger da. Der Arbeiter wartete den ganzen Tag, doch es kam kein Bagger. Am Abend erschien dann der Bauunternehmer und fragte nach dem Loch, doch es war keins da. Der Arbeiter fragte nach seinem Lohn. Da sagte der Unternehmer. Ohne Loch kein Lohn! Und der Arbeiter erwiderte ihm: Ohne Bagger kein Loch, aber da ich hier war und ein Loch graben wollte, bist du mir den Lohn schuldig! Das Arbeitsgericht gab dem Arbeiter recht und deshalb heißt der Spruch heute: Ohne Bagger kein Loch, ohne Bühne kein Auftritt, aber dennoch Lohn."

Für Grobschnitt jedoch gehören diese Dinge längst der Vergangenheit an. Vorkommnisse dieser Art sind seit Langem nicht mehr passiert. Der unbedingte Wille zur Perfektion ist längst bei den Veranstaltern landauf und landab bekannt und man richtet sich danach. Die neue Show, mit der Grobschnitt in diesen Tagen unterwegs ist, ist die "Elias Grobschnitt-Show" und führt den Besucher zurück in eine Zeit, in der die Söldnertruppe des Elias Grobschnitt mit wilden Gesängen, wilder Musik und Gesaufe die Gegend um Hagen unsicher machte. Diese Geschichte zu erzählen, hieße den Platz hier sprengen, dafür ist sie zu vielgestaltig in ihren Handlungen und ihren Personen; doch ein Tip sollte gegeben werden: die neue Show muß man gesehen haben.

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