Artikel aus Spotlight 8/1984

Grobschnitt, Deutschlands schärfster Live-Act, zog zwei Monate durch die Lande, da darf natürlich "spotlight/ms" nicht fehlen, wenn es um einen Konzertbericht geht. Es ist schwer, einen Grobschnitt-Act wiederzugeben, man/frau muß so etwas einfach gesehen haben. Unzähliges passiert auf der Bühne, immer wieder beeindruckend, denn die Hagener Truppe verarbeitet mit jeder Live-Show ihre Thematik mit einer ungeheuren Intensität und Eindringlichkeit.

Lupo, Wildschwein, Milla, Jürgen, Peter und Toni und der Rest der Band versetzen das Publikum in eine Scheinwelt, der Alltagsfrust wird für drei Stunden vergessen. Vor Überraschungen ist man nie sicher. Sie haben ihr Publikum im Griff. Der Funke springt sofort über. Wie oft schon haben sie herrschende politische Zustände und Situationen auf ihre Art und Weise angefaßt und verarbeitet. Jeder, der die Shows von Grobschnitt gesehen hat, weiß das. Denkt man an die RAZZIA-Tour ‘82, "Schweine im Weltall" z. B., bei dem der Metzgermeister doch glatt das "falsche" Schwein geliefert bekam. "Illegal" 1981, wo ein Musikant von der Straße "wegen illegalen Musizierens auf öffentlichen Plätzen verbunden mit gegenleistungsloser Verbreitung von textlichen und materiellem Gut und dem daraus resultierenden ruhestörenden Lärm" von einem Richter verdonnert wurde. So etwas hinterläßt Spuren.

 

So war es dann auch in diesem Jahr, bei der Tournee zu "Kinder und Narren". Die Geschichte "Kinder und Narren" ist, wie schon 1977 "Rockpommels Land", ein phantasievolles Märchen. Es erzählt von verlorenen Gefühlen, der Suche nach Liebe und Freiheit in einer recht leeren Welt. Eine Fantasy-Story, die besagt, daß Kinder eine gewisse "Unschuld" darstellen, daß einzig und allein Kinder die wahre Freiheit verkörpern, denn sie lassen sich ja noch nicht in bestimmte Bahnen lenken. Kinder sind, ähnlich wie Narren, einfach nicht angepaßt. Narren wollen dieses auch gar nicht, Kinder hingegen können bzw. werden in eine "Erziehungsmaschinerie" gezogen und werden verzogen oder verdorben, eben angepaßt. "Kinder und Narren" erzählt die Geschichte des Landes Maya, einem etwas merkwürdigen Land, in dem sich seltsame Wesen, die sich Menschen nannten, zu Königen über alle anderen Lebewesen ausrufen ließen. Mit der "Waffe" Logik waren sie allen anderen Bewohnern des Landes weit überlegen. Mit dieser Waffe richteten die Menschen über Jahre hinaus unheilvolle Schäden an. Nach nicht sehr langer Zeit hatten sie sich und das Land zerstört, ohne selbst davon etwas bemerkt zu haben. Es gab jedoch einige wenige im Lande, die anders waren, die Narren. Sie hatten ihre Kindlichkeit bewahrt.

 

Eines der Kinder, das lieber ein Narr bleiben wollte, trug den Namen Fulio und war besonders ausgeflippt.

Ähnlich einleitende Worte benutzte Lupo nach der Begrüßung des Publikums. Schon als Lupo, von nur einem Spot angestrahlt, auf der Bühne stand, bot sich mir ein märchenhaftes Bühnenbild. Links und rechts am Bühnenrand stehen Podeste mit denen ich zunächst nichts anzufangen weiß. Bei: "Ballermann, mach Licht!" wußte ich es spätestens. Ein riesiger Magnesiumblitz erhellte die Bühne. Die gesamte Band war "on stage" und legte los mit "Paradox" (C' est la vie), einem Titel der neuen Langspielplatte. Eingehüllt in Nebelschwaden tanzten Pascale Jacot und Marie-Dominique Tasso, zwei Tänzerinnen vom Ballet Classique de Paris, eigens für die diesjährige Tour engagiert, auf die Podeste zu. Mit welcher Professionalität die zwei ihr Werk verrichten, zeigte sich spätestens, als einer der beiden Ladies ein kleiner Schnitzer passiert. Sie wirft einen Mikrofonständer durch eine ihrer Bewegungen um. Sie läßt sich jedoch dadurch in ihrem weiteren Ablauf nicht beirren und macht weiter. Eine applaudierende Menge freut sich mir ihr.

In "Paradox" wird Fulios Lebensweise vorgestellt: keine festen Regeln, alles lose, er ist happy. Mit diesem ersten Titel hatte Grobschnitt das Publikum schon für sich gewonnen.

Weiter ging's mit dem "Orakel", bei dem Fulio, der Narr, eine Message erhält, die ihm zunächst unklar ist. Bis er dann versteht, daß er sich seine "echte Liebe" suchen muß. "Liebe", in den Tagen ein leeres Wort - ohne Bedeutung für jedermann, nur der Hauptdarsteller meint zu verstehen. "Orakel", ein Titel zunächst voller Mystik, um später in echten Rock umzuschlagen. Toni Moff Mollo holte wieder alles aus seiner Stimme heraus -und es gelang.

Wieder das mystische Bühnenbild, zunächst in einige wenige, dann sehr viele Farben gehüllt. Wabbernde Nebelschwaden auf der Bühne, wie man es von Grobschnitt gewohnt ist. Im nächsten Stück geht Fulio "geradeaus" in die Nacht hinein, auf der Suche nach der echten Liebe. "Geradeaus", wieder ein rockiges Stück, reißt das Publikum vollends mit. In "Keine Angst" lernt Fulio seine "Liebe" kennen. Die Lightshow, wieder à la Grobschnitt, der Sound unverwechselbar, eben Grobschnitt. Milla macht hier die zweite Stimme, der "kleine" Toni mit seiner "großen Schnauze" natürlich wieder den Frontman. Der Narr Fulio macht seiner Angebetenen hier eine Liebeserklärung. Hier hört man wieder Milla als Sänger und das Auge des Hörenden bekommt auch wieder etwas geboten.

Fulio zieht mit seinem "Augenstern" zusammen und erlebt eine gänzlich andere Welt. Er ist auf eine Art glücklich, jedoch erdrückt ihn die andere. Er spürt die Nähe und die Ferne des "Augensterns". Er war gefangen von seiner "Liebe". Augenstern hingegen hat sich nicht ausgeliefert, sie blieb frei: Fulio erkennt das und legt alle seine Ansprüche ab. Er nimmt es hin wie es ist, wie es sein soll, er fühlt sich nicht mehr zu ihr hingezogen, liebt aber dennoch.

Dieser Teil der Fantasy-Story wurde durch "Wie der Wind" fundamentiert. Neben Fulio veränderte sich dann die Welt und eine neue, durch Fulio und Augenstern freigesetzte Energie wirkt sich auf die Umwelt aus.

Die Menschen haben ihr Leben und die Quelle der Lebensenergie wiedergefunden.

Das war im wesentlichen der erste Part der Grobschnitt ‘84-Show. Nach Umbau- und Pinkelpause ging's dann zum zweiten Teil. "Kommando Schuhplattler", Schuhplattler tanzende Army-Freaks, Kommando "RAZZIA". Scheiß Bullen. Es folgte im wesentlichen ein Ab- oder besser Umriß der Razzia-Tour ‘82, wobei dann auch "Wir wollen leben" nicht fehlen durfte. "Rockpommels Land", "Silent Movie" aus "Illegal ‘81" und als krönender Abschluß "Solar Music" in neuem Gewand.

Nach drei Zugaben verließ die Gruppe dann endgültig die Bühne, um Peter Jureits Geburtstag zu feiern.

Grobschnitt Live - die ideale Verschmelzung von Rock und Theater. Wer sich einmal die neue LP "Kinder und Narren" vornimmt, wird sich vielleicht mit der Geschichte identifizieren können, oder anderweitig Parallelen vorfinden (vgl. spotlight 3/84).

Th. P.

Pressetexte-Menue