Beilage der Westfalenpost vom 08.01.2000

Die Wegbeschreibung ("In Ennepetal rechts, dann ca. 14 Kilometer auf dieser Straße bleiben; Wald, Felsen, Serpentinen, Schluchten, Eiche...") ließ den Reporter anfangs ratlos zurück. Ist Deutschlands Shooting Star in Sachen digitaler Klangrestaurierung, der mit bürgerlichem Namen Joachim H. Ehrig heißt und den alle nur EROC nennen, in Wahrheit ein verkappter Alm-Öhi? Schaun mer mal.

Die Straße: gerade mal so breit wie drei Glasfaserkabel, nebeneinandergelegt. Offensichtlich gehört das alles dazu will man die Qualität der Abgeschiedenheit von EROCs Studio-Ranch im schmucken Doppelhaus in Breckerfeld richtig einschätzen. "So sehen die Arbeitsplätze der Zukunft aus", schwärmt der 48-Jährige, der - als es noch Grobschnitt gab - für knapp zwei Jahrzehnte als kreativer Kopf einer der innovativsten Rockbands Deutschlands galt.

Das Equipment bewegt sich preislich weit im sechsstelligen Bereich. Laut EROC macht der Plattenspieler samt Vorverstärkern schon 70 000 Mark aus - von den anderen Komponenten ganz zu schweigen. "Aber so richtig ab gings erst mit meiner ersten ‘Wolkenreise‘-Abrechnung." Dass ihm damals, 1978, auf einen Schlag 88 000 Mark überwiesen wurden, empfand er anfangs als Schock. "Ich war überzeugt, dass es sich um einen Druckfehler handelt."

Die Abrechnung war korrekt. Deshalb investiert er fast das gesamte Geld in hochwertige Studiotechnik (Mischpult, Analizer, Studer 16-Spur). "Erstmals", so EROC, "waren wir mit Grobschnitt in der Lage, Bänder in bestmöglicher Qualität abzuliefern." Die 400 Quadratmeter große Scheune eines Bauern in der Nähe von Sprockhövel wird zum professionellen Studio ausgebaut. "Das Grundstück war ein Schnäppchen." Der Bauer hatte zuvor seine Familie erschossen und war daraufhin in die Psychiatrie eingewiesen worden.

Grobschnitt ist heute ein Mythos. Nie zuvor und nie danach hat es in Deutschland eine Band gegeben, die derart unkonventionell agierte und mit den Fans regelmäßig Feste feierte. "Im Grunde waren wir ein riesiger Kindergarten. Die Gruppe löste sich pro Woche mindestens dreimal auf - aber am nächsten Tag waren wieder alle da. Den Spaß. den wir auf die Bühne brachten, war das Ventil. uns für den Frust bei unseren ständigen Probensessions schadlos zu halten." Von 1970 bis 1989 gaben die Hagener - sage und schreibe -1356 (!) Konzerte und veröffentlichten 14 Alben.

 

Eins und jetzt: "Grobschnitt" (links) aus Hagen war fast 20 Jahre kang eine der erfolgreichsten Livebands. Heute ist Joachim H. Ehrig (oben), bekannt als EROC, in seinem Breckerfelder Studio als Produzent gefragt.

Fotos: Teldec/Arndt

Zum anstehenden 30. Bandjubiläum wird EROC den dritten Teil der überaus erfolgreichen DoCD-Reihe über die Geschichte der Band veröffentlichen. Folge 1 und 2 lassen für alle, die damals nicht dabei waren, locker erahnen, welch ungeheures Potenzial Grobschnitt entfalten konnte. Nicht umsonst hatte sich die Band Spaß, Spaß und nochmals Spaß auf die Fahnen geschrieben. Darauf konnten sich alle verlassen. Sie waren die Band der Fans. Und immer, wenn EROC, "Wildschwein", "Lupo", "Mist", "Hunter", "Toni Moff Mollo" oder "Geheimrat Günstig" (um nur einige zu nennen) in die Provinz einfielen, waren Rücktritte von Kirchenvorstand oder Gemeinderat nicht ausgeschlossen. Selbst die hartgesottensten Feuerwehrleute brachten sie mit ihrem Bühnenfeuerwerk und EROCs Rauchbomben an den Rand der Verzweiflung. Anschließend feierten sie mit ihren Fans am Bühnenrand noch eine ausgelassene "After-ShowParty". "Wenn man das alles bedenkt", sagt Winfrid Trenkler (ehemals WDR 2), "waren sie die Größten!"

Als 1989 das Ende von Grobschnitt besiegelt war, hatte sich EROC schon längst einen eigenen Namen gemacht - seine elektronischen Soundreisen "EROC 1 – 4" wurden vom Publikum enthusiastisch aufgenommen. Der Technik-Freak, der Verstärker, Mischpult und Boxen selber bauen und reparieren konnte, tat sich 1982 mit Siggi Bemm zusammen. Dieser eröffnete zuerst in Dortmund und anschließend in Hagen sein mittlerweile hoch angesehenes "Woodhouse Studio". "Siggi blieb alleiniger Geschäftsführer. Ich brachte als Leihgabe das technische Equipment ein. Anschießend konnte ich das Studio für Grobschnitt und für mich als freier Produzent kostenlos nutzen."

In jener Zeit kümmert sich EROC u.a. um "Zoff" und Philip Boa. Boa schlägt dermaßen ein, dass EROC zum Produzenten des Jahres gewählt wird. "Doch dann kam der im Grunde überflüssige Disput und der jahrelange Prozess mit Boa dazwischen." Als ihm dann noch Bemm signalisiert, sich auf Hardrock spezialisieren zu wollen, steigt EROC aus - das Equipment wird dem Partner zum Freundschaftspreis überlassen.

Erstmals hat er Zeit, sich nach 15 Jahren wieder live einzubringen. Er tritt u.a. beim Eurosonic Featival in Schweden auf und bringt zusammen mit Urs Fuchs von Farfarello "Experiences" heraus. Zudem besinnt er sich aufs Remastering. "Ich weiß, was die Musiker wollen, wenn sie im Studio stehen. Und ich weiß, worauf ein Produzent für eine gute Aufnahme zu achten hat." Der Zufall will es, dass das Hamburger Spezialisten-Label Repertoire sowieso einen Teil der alten Grobschnitt- und EROC-Platten neu herausbringen will. "Ich hab die gefragt, ob sie nicht auf meine knapp 3ojährige Studioerfahrung zurückgreifen wollen." Sie wollten!

Was jetzt noch fehlt, ist eine überzeugende Probe aufs Exempel. EROC schnappt sich Steamhammer, um seine Argumente zu unterfüttern. "Wir haben hier ein Beispiel für eine extrem schlampige Produktion - u.a. stimmt der Azimut-Winkel nicht. Beim Überspielen auf Matrize war der Tonkopf der Bandmaschine falsch eingestellt. Das schlechte Ergebnis geht dann in Serie. Aber: Seit gut einem Jahr hat man die Möglichkeit, diesen Fehler mit Hilfe eines ‘Plug-in‘-Bausteins und eines AzimutCorrectors fast vollständig zu eliminieren. Und schon kann man die Stücke so hören, wie sie damals im Studio tatsächlich eingespielt wurden. Mittlerweile erkenne ich jedes Gerät, mit dem damals gearbeitet wurde. Die Fehler fallen mir sofort auf und ich kann optimal gegensteuern."

Bis auf weiteres wird EROC für Repertoire die Klassiker der 60er und 70er Jahre digital aufpolieren. Und mit Philip Boa ist mittlerweile das Kriegsbeil begraben. Boas Neueste - mit EROC an den Reglern - erscheint am 17. Januar.

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