Interview des NDR mit Milla Kapolke aus 1987

 

Der Text zu diesem Interview ist dem Grobschnitt-Fanzine Marabou Nr. 2 aus 1987 entnommen.

Am 13.4.1987 interviewte ein Moderator des NDR vor dem Konzert in Hamburg Milla Kapolke. Das Interview wurde später im Rahmen des "Clubs" gesendet. Für alle, die nicht im Sendebereich von NDR 2 liegen oder es einfach verpaßt haben bringe ich hier noch einmal den Wortlaut des recht interessanten Gesprächs:

 

NDR: Seit 17 Jahren gibt es sie, die Ruhrpottkapelle Grobschnitt. Das ist für deutsche Verhältnisse ziemlich einmalig. Mit ihren wuchtigen und erdigen Klängen haben die sechs Männer aus Hagen schon die Jugendjahre mancher Leute begleitet, die heute weit in den 30-ern sind. Erfolgstropf der Band ist traditionell ihr Livekonzert. Die Platten haben bislang nie so große Siegeszüge angetreten, aber im Konzert da sind sie spitze und da holen sie auch die Massen.

Als ich in der Hamburger Stadthalle Milla Kapolke traf, den Bandsprecher, da wollte ich erst einmal von ihm wissen, wie es denn der Gruppe gelungen ist, sich in der doch kurzlebigen Musikbranche so lange durchzubeißen.

Milla: Wir heben eigentlich schon seit Jahren so'n bißchen legendären Ruf als Livegruppe. Das liegt natürlich daran, daß wir bei unseren Konzerten seit ewigen Zeiten versuchen, etwas ganz besonderes daraus zu machen und weil wir auch irgendwie glauben, daß wir irgendwie etwas einmaliges sind, in dem, was wir zeigen.

Wir spielen also sehr lange, ein Konzert dauert bei uns über drei Stunden. Und wir versuchen also dabei meist so‘n richtiges Happening zu machen, kurze Showeinlagen, wir versuchen sehr viel für‘s Auge zu bieten. Das ist wohl der Grund, warum die Leute immer wieder gerne in ein Grobschnitt-Konzert gehen.

NDR: 17 Jahre gibt es diese Band. Kann es den überhaupt einer Gruppe, zumal noch einer deutschen Band, gelingen, so ein Gesicht zu wahren? Kannst Du sagen, Grobschnitt, das ist die und die Band über all die Jahre auch geblieben?

Milla: Musikalisch haben wir uns natürlich in diesen 17 Jahren stark verändert, gar keine Frage. 1972 war eine ganz andere Musik angesagt, da waren wir auch ganz anders. Da waren wir halt auch 15 Jahre jünger, haben auf andere Musik gestanden. Das war 'ne ganz andere Zeit. Und 1987 machen wir, so glauben wir, auch Musik aus dem Jahre 1987, mit dem Zeitgefühl des Jahres 1987. Und das halten wir auch für sehr wichtig, wir fühlen uns also überhaupt nicht als ‘ne alte Band oder als ‘ne Band von gestern, sondern wir fühlen uns also, daß wir voll in der Gegenwart stehen.

"Hallo Mama" wird gespielt

NDR: Die Gruppe Grobschnitt hier mit dem Titel "Hallo Mama" und gleich geht es weiter mit dem Interview mit Milla Kapolke, dem Sprecher der Band.

Diese aktuelle Platte verstehe ich so: Das ist die Platte eines trotzigen einzelnen, ne, der sich so beguckt und sagt: So, ich muß durchs Leben, ich muß auch durch die Liebe kommen, und der sich da so durch solche Lieder und mit so ‘ner Musik da ein bißchen Mut macht.

Milla: Das ist eigentlich ganz interessant, daß Du das so siehst. Ich finde das eigentlich ziemlich richtig, das ist auch irgendwie so gemeint. Ich glaube auch, daß man in der heutigen Zeit sehr leicht dazu neigt, zu resignieren. Es gibt ja schon 'ne ganze Menge Leute, die es für unverantwortlich halten, wenn man heute noch Kinder in die Welt setzt. Und es gibt also Probleme en mas und die Zukunft sieht also nicht so wahnsinnig einfach aus, wenn man wirklich mal versucht die Sache realistisch zu betrachten.

Wir sind nie ‘ne no-future-Gruppe gewesen, zu keiner Zeit, in den ganzen Jahren nicht. Und wir haben immer versucht, trotz allem irgendwie positiv zu denken und auch so‘n bißchen positive Energie zu verbreiten, mit unserer Musik und mit unseren Konzerten. Und deshalb auch der Titel dieser LP "Fantasten". Für uns gehört also, um überhaupt die Möglichkeit zu haben weiterzudenken und weiter positiv zu denken, ‘ne Menge an Phantasie dazu. Auch ruhig ein Phantast zu sein, zu träumen, den Nut zu haben, zu träumen und wie es hier in diesem Titel "Fantasten" heißt, "Träumer unter dem Eis" zu sein, und trotzdem also Phantast zu sein - doch noch an Utopien zu glauben und auf keinen Fall zu resignieren. Dieses Gefühl, das einfach da sein muß, wenn es eine Zukunft geben soll.

"Fantasten" wird gespielt

NDR: Das ist also die Ruhrpottkapelle Grobschnitt. Und ich kann sie, die sechs, ja mal vorstellen: Lupo - Gitarre, Milla Kapolke - Baß, Gesang und Worte, Rolf Möller - Schlagzeug, Thomas Waßkönig - alle Tasteninstrumente, Toni Moff Mollo - Chorgesang, Willy Wildschwein - Gesang und Saxophon. Ich möchte nicht wissen, was der Standesbeamte zu dem Namen Willy Wildschwein gesagt hat. Milla, den ich gesprochen habe, der blickt ja als Texter von Grobschnitt auf eine lange Bandtradition zurück. Da gab es Zeiten, wo es bei Grobschnitt politisch hart zur Sache ging, da gab es Zeiten voller mystischer und fantasievoller Texte innerhalb dieser 17 Jahre Bandgeschichte. Und nun ist also die Zeit gekommen, diese Fantasie zu nutzen. Für den Einzelnen, auch für die Fantasten dieser Zeit die, vielleicht wider besseren Wissens, die Zukunft zuversichtlich anpacken wollen und sich Mut machen.

Ich wollte von Milla hören, wie er sonst nun die musikalische Szene hier in Deutschland einschätzt, und den Einfluß von Texten überhaupt auf die Musik und auch vielleicht auf die Geisteslandschaft und das Meinungsbild hier im Land. Und er begann eigentlich damit sich zu distanzieren von den kopfbetonten Liedermachern mit ihren kunstvoll gedrechselten philosophischen Portionshäppchen.

Milla: Ich hab ein bißchen was gegen diese übertriebene Lehrerhaftigkeit mancher deutscher Liedersänger. Aber ich will auch um Gottes Willen keinen persönlich angreifen, aber die sind mir manchmal doch ein bißchen zu schlau. Bei uns ist das nicht drin. Wir haben ja auch diesen erhobenen Zeigefinger nicht. Wir sind nicht so wahnsinnig intellektuell. Wo es natürlich noch hinzukommt, daß wir musikalisch und aus der Tradition nicht aus der Liedermacherecke kommen, sondern bei uns steht auch die Musik sehr stark im Mittelpunkt, zusätzlich zu den Inhalten. Wir transportieren also mit unserer Musik nicht nur Texte, sondern das ist irgendwie gleichberechtigt. Und das ist immer so gewesen. Denn Musik ist nicht nur ein Medium, das nur mit Ratio, also Vernunft aufzufassen ist, da spielen ganz andere Bereiche eine Rolle.

NDR: Fliegen da nicht vorher die Fetzen in der Band, wenn man sich da so auf eine Grundlinie verständigt, oder macht so jeder seine Sache und irgendwie mischt sich das dann?

Milla: Also, wir machen ja bei Grobschnitt alles zusammen, was vielleicht auch eines der Geheimnisse ist, warum ‘ne Band so lange existiert. Und bei uns ist es also immer so gewesen, daß jemand der neu hinzugekommen ist, dem ist also nicht gesagt worden: "Hier das ist der Boß der Band, und der bestimmt, wo's lang geht. Du mußt also jetzt die und die Musik machen, wir haben den und den Sound und damit hast Du Dich abzufinden." Wir haben immer gesagt: "Was willst Du machen? Wie bist Du? Und was ist Deine Musik?‘ Und Du machst selber auch verschiedene Phasen in Deinem Leben durch. Wir versuchen auch, Musik zu machen, so wie wir gerade drauf sind. Wir versuchen nie da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben. Wir fangen irgendwie immer bei uns auf Null an.

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