Alex Henry Foster – Kimiyo
Factor (2024)

(9 Stücke, 68:47 Minuten Spielzeit)

Das Album „Kimiyo“ von Alex Henry Foster ist bereits am 26.04.2024 erschienen und wurde von Alex Henry ohne Band eingespielt. Lediglich Momoka Tobari steuerte Gesang bei. Welche Instrumente Ben Lemelin spielte ist aus dem CD-Text leider nicht zu entnehmen. Auch dieses Album ist unter dem Eindruck der schweren Operation (doppelte Herztransplantation) entstanden, der sich Alex Henry Foster unterziehen musste. Das Album ist sowohl digital wie auch als CD erschienen. Mir lag die CD-Version vor, die in einem vierseitigen Papersleeve, das neben einem vierseitigen Beiblatt auch einen Downloadcode enthält.


Auch hier zunächst einige Infos von der Bandcampseite: Das ganze Projekt wurde von Ben Lemelin zunächst als ein instrumentelles Projekt betrachtet, da Foster nur flüstern konnte, als die Idee aufkam, aber letzterer hatte die Idee, Momoka, mit der er bei mehreren Gelegenheiten zusammengearbeitet hatte - zurückgehend auf seine Zeit bei Your Favorite Enemies - einzuladen, die Stimme der ersten Inkarnation seines Projekts zu sein. Sie ahnte nicht, dass sie im Mittelpunkt des Albums „Kimiyo“ stehen würde, das zum Katalysator für alles wurde, was danach folgte.

„Kimiyo“ war als eine Geschichte innerhalb einer Geschichte gedacht und entwickelte sich zu einem vielschichtigen Gebilde. Das Album ist inspiriert von den Aussagen der Menschen, die Foster 2010 in Japan traf. Die Haupterzählung von „Kimiyo“ konzentriert sich auf die Reise einer jungen Person, die Foster Jahre nach ihrer Begegnung schrieb, um Teile ihrer Reise mitzuteilen. Sie erzählte, wie sie ein neues Selbstgefühl fand, nachdem sie daran dachte, sich das Leben zu nehmen, als sie ungewollt schwanger wurde, aber nicht in der Lage war, die Idee, ihr Leben oder ihre Schwangerschaft zu beenden, zu ergründe. Sie wurde hasserfüllt gegenüber der aufkeimenden Existenz, die langsam ihren Körper übernahm, fand aber eine erfüllende Form der Hoffnung für ihr gegenwärtiges und zukünftiges Selbst, die aus dem Gefühl entstand, dass sich das Baby in ihrem Körper zu bewegen begann.

Dann stellte sie sich ein eigenes Leben vor, ein Ziel, von dem sie nie geglaubt hatte, es irgendwo zu finden - vor allem nicht in sich selbst -, aber sie verlor das Kind nach einer Fehlgeburt, was sie wieder leer, aber irgendwie verändert zurückließ. Sie hatte gelernt, dass Glück ein Maß des Herzens und der Seele ist, und akzeptiert, dass Sinn etwas ist, das von innen heraus wächst, aber, wie Foster es darlegte, während der Baum zu oft die schöne Dichte eines Waldes verbergen mag, gibt es Lichter, die einfach viel zu hell sind, um versteckt zu werden.

Neun Stücke mit Laufzeiten zwischen 4:19 und 10:06 Minuten Spielzeit finden sich auf dem Album.

Gestartet wir mit dem recht ambienten, 4:19minütigen „Of Dream And Dust“. Da sind zunächst Donnerhall und Sirenen zu hören, dann setzten Harmonien ein und eine weibliche japanische Stimme setzt ein (wie auch in den anderen Tracks), die einen erzählerischen Stil aufweist. Das verbreitet eine sehr intensive Stimmung, die einen sogartig in das Geschehen hineinzieht.

Rockig beginnt dann das 8:18minütige „A Silent Stream“, so wie man es von Alex Henry Foster her kennt. Sowohl gesprochener Text wie auch lautmalerischer Gesang von Momoka Tobari zieht sich durch diesen Track. Auch symphonische Elemente bauen Foster und Lemelin ein. Das ist alles sehr melodisch angelegt.

Mit 10:06 Minuten Spielzeit ist „The Edge Of Time“ der längste Track des Albums. Atmosphärische Flächensounds durchziehen zunächst den Raum. Dann folgen Klänge wie von einem Cello, die nun eine melancholische Note mit einbringen. Der auf Japanisch vorgetragene Text unterstützt diese Stimmung noch einmal. Nach 2:20 Minuten kommt dann eine sehr schöne, sanfte Gitarrenpassage auf. Der Track entwickelt sich immer weiter und bekommt nach 4:50 Minuten einen Schlagzeugrhythmus spendiert, der nun in einen atmosphärischen Rockpart mündet. Das hat was von Postrock und geht dann in einem druckvollen, ekstatischen Part mit einer Wall Of Sounds, der von Gitarre und Schlagzeug getragen wird, auf.

Sehr elektronisch zeigt sich dann das 7:44minütige „A Vessel Astray“, das mit herrlichen Flächen startet, auf die sich dann ein rhythmisches Gitarrenmuster legt. Mysteriöse Sounds läuten dann nach drei Minuten einen Wechsel ein. Jetzt hat sich das Stück in einen eingängigen, sanften Rocksong gewandelt. Nach gut 4:45 Minuten setzt dann ein Bassmotiv ein, der jetzt erneut in einen atmosphärischen Part überleitet.

Eine herrliche Pianopassage, mit Streichersounds unterlegt, eröffnet dann das 4:42minütige „All Of Our Past Future Lives“. Foster und Lemelin erzeugen weite Klangräume und unterfüttern dies nach ca. 1:20 Minuten mit einem Schlagzeugrhythmus. Das Stück steigert sich bis hin zum letzten Drittel, dann wird es wieder atmosphärisch. Für mich eines der Highlights des Albums, das von der Atmosphäre an Bands der Marke Anathema andockt.

„Autumnal Processions“ ist ein sehr schöner, sanfter Song in dem Foster aber auch wieder mit der Dynamik spielt und im Mittelteil eine Wall Of Sounds hochzieht. Das passt aber ganz hervorragend zusammen und besitzt eine Sogwirkung.

Nach zwei weiteren Songs geleitet dann das 8:10minütige „Under A Luxuriant Sky“ sehr melodisch mit sanftem Popappeal aus dem Album heraus. Ein toller Abschluss dieses beeindruckenden Werkes.

„Kimiyo“ ist ein intensives, intimes Album von Alex Henry Foster, das er zusammen mit Ben Lemelin und der Sängerin Momoka Tobari eingespielt hat. Die Musik entwickelt im Verlauf einen ungeheueren Zauber, dem man sich nicht entziehen kann. Auch die auf Japanisch gesprochenen und teils gesungenen Texte können das nicht beeinträchtigen. Ein tolles Album.

Stephan Schelle, September 2024

   

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